t-online - Nachrichten für Deutschland
t-online - Nachrichten für Deutschland
Such IconE-Mail IconMenü Icon



Menü Icon
t-online - Nachrichten für Deutschland
HomeWirtschaft & FinanzenAktuellesWirtschaft

Herbstprognose der Bundesregierung: Deutschland wird abgehängt


Konjunktur-Prognose
Deutschland wird abgehängt

Von Frederike Holewik

12.10.2022Lesedauer: 5 Min.
Nachrichten
Wir sind t-online

Mehr als 150 Journalistinnen und Journalisten berichten rund um die Uhr für Sie über das Geschehen in Deutschland und der Welt.

Zum journalistischen Leitbild von t-online.
imago images 160970954Vergrößern des Bildes
Containerschiff im Hamburger Hafen (Symbolbild): Die Bundesregierung rechnet damit, dass die Inflation im kommenden Jahr bei sieben Prozent liegt. (Quelle: imago-images-bilder)

Früher Musterschüler, heute Sorgenkind: Die Aussichten für die deutsche Wirtschaft sind schlecht. Die Energiekrise trifft die Bundesrepublik besonders stark.

Mit der deutschen Wirtschaft geht es bergab und die Talsohle kommt wohl erst im kommenden Jahr: Die Bundesregierung hat wegen der Energiekrise ihre Konjunkturprognose gesenkt. Es handele sich um einen "erheblichen Wirtschaftseinbruch" sagte Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck bei der Vorstellung der Herbstprojektion am Mittwoch in Berlin.

Laut Prognose erwartet die Regierung in diesem Jahr nur noch ein kleines Wirtschaftswachstum von 1,4 Prozent, im kommenden Jahr dürfte die Wirtschaft sogar um 0,4 Prozent schrumpfen und damit in eine Rezession rutschen. Für 2024 wird wieder mit einem Wachstum von 2,3 Prozent gerechnet.

Prognose deutlich abgesenkt

Die Bundesregierung legt ihre Wirtschaftseinschätzung zweimal jährlich vor, im April war die Regierung noch von einem Anstieg des Bruttoinlandsprodukts um 2,2 Prozent in diesem Jahr und um 2,5 Prozent im kommenden Jahr ausgegangen.

Konjunktur-Experte Michael Grömling vom arbeitgebernahen Institut der deutschen Wirtschaft (IW) nennt die aktuelle Einschätzung überraschend. "Sollte es so kommen, wäre es noch eine überschaubare Rezession", sagt er im Gespräch mit t-online. Das IW selbst hatte vor wenigen Woche eine deutlich pessimistischere Prognose abgegeben.

Schlechten Nachrichten reißen nicht ab

Dass Deutschland auf eine Rezession zusteuert, scheint allerdings ausgemacht. Die Prognose der Bundesregierung reiht sich damit ein in die schlechten Vorhersagen für die deutsche Wirtschaft. Erst am Dienstag hatte der Internationale Währungsfonds (IWF) seinen Ausblick vorgestellt. Darin senkte die Organisation ihre Wachstumsprognose erneut und vor allem Deutschland schneidet schlecht ab. Unter den Industriestaaten bildet die Bundesrepublik gar das Schlusslicht.

Für 2022 rechnet der IWF noch mit einem Wirtschaftswachstum von 1,5 Prozent in Deutschland, das sind 0,6 Prozentpunkte weniger als im April vorhergesagt. 2023 könnte auch laut dieser Experten die Wirtschaft schrumpfen und in eine Rezession rutschen.

Vor einer drohenden Rezession hatten zuvor bereits verschiedene Wirtschaftsgrößen gewarnt, darunter Bundesbank-Chef Joachim Nagel. In t-online-Interviews äußerten sich auch der frühere Wirtschaftsweise Lars Feld und die deutsche EZB-Direktorin Isabel Schnabel ähnlich. (Das vollständige Interview lesen Sie hier.)

Inflation wird durch Entlastungspakete gedrückt

Eine der wichtigsten Kennzahlen für die wirtschaftliche Entwicklung ist die Inflationsrate. Die Teuerung steigt seit dem russischen Einmarsch in die Ukraine im Februar und den in der Folge eingestellten russischen Gaslieferungen kontinuierlich. Im September erreichte sie 10 Prozent.

"Wir erleben derzeit eine schwere Energiekrise, die sich immer mehr zu einer Wirtschafts- und Sozialkrise auswächst", so Habeck. Der russische Präsident Wladimir Putin ziele mit seinem Handeln genau auf diese Destabilisierung ab.

Der Ersatz besonders von russischem Gas etwa mit LNG ist teuer. An den Energiebörsen spiegeln sich die Unsicherheiten durch das unvorhersehbare russische Vorgehen in deutlichen Risikoaufschlägen wider. Damit sind die Energiepreise zum größten Treiber der Inflation geworden. Die Experten im Wirtschaftsministerium rechnen für 2022 insgesamt mit einer Inflation von 8 Prozent, für das kommende Jahr mit einer Teuerungsrate von 7 Prozent.

Damit unterscheidet sich ihre Einschätzung von der Gemeinschaftsdiagnose, die die führenden deutschen Wirtschaftsinstitute Ende September herausgegeben haben. Darin hatten diese mit einer Inflation von 8,8 Prozent im kommenden Jahr gerechnet.

Habeck begründet die Unterschiede mit dem seit Veröffentlichung der Gemeinschaftsdiagnose angekündigten Abwehrschirm. Mit bis zu 200 Milliarden Euro sollen Verbraucher und Unternehmen bis Frühjahr 2024 bei den Energiekosten unterstützt werden. Wichtigster Bestandteil ist die geplante Gaspreisbremse. (Alle Details zu den Plänen finden Sie hier.)

Experte: Haushalten fehlt Kaufkraft

Experte Grömling ist skeptisch, ob das so gelingen kann. Die hohen Energiepreise führten sowohl bei Privathaushalten als auch in der Industrie für Zurückhaltung. "Ich rechne mit deutlich stärkeren Bremseffekten als die Bundesregierung", sagt er. Die Löhne würden aktuell nicht mit den steigenden Preisen mitwachsen und so fehle es vielen Haushalten an Kaufkraft.

Kein Trost, aber zumindest ein Richtwert: Deutschland steht bei Weitem nicht allein da. Die Weltwirtschaft ist nach zwei Jahren Corona-Pandemie und den daraus resultierenden Lieferkettenproblemen gebeutelt. Seit Februar kommen noch die Auswirkungen des Ukraine-Kriegs hinzu, vor allem auf den Energiemärkten.

Doch Deutschland ist von der aktuellen Krise besonders stark getroffen. Auch Grömling sieht die Abhängigkeit von Russland als einen wichtigen Faktor für die aktuelle Lage. "Deutschland ist bei der Energie anders aufgestellt", so der Experte. Noch zu Beginn des Jahres kamen rund 55 Prozent des Gases aus Russland. Das sei bei Ländern wie Spanien oder Portugal nicht der Fall. Und auch der Ersatz ist in Deutschland deutlich schwieriger als in anderen europäischen Ländern, da es kaum eigene, erschlossene Rohstoffvorkommen gibt.

Industrie macht den Unterschied

Diese komplizierte Beschaffungssituation treffe dann auf einen hohen Anteil energieintensiver Industrie, führt Grömling weiter aus. In Deutschland macht die Industrie gut 20 Prozent der Wirtschaft aus, in Italien und Frankreich sind es hingegen nur rund zehn Prozent.

Hinzu kommt, dass die Wirtschaft noch durch die Corona-Pandemie geschwächt ist. "Die Industrie konnte sich noch nicht vollständig erholen, wurde im ersten Aufschwung wieder ausgebremst", so Grömling. Sollte es im Winter tatsächlich zu einer Gas- oder Strommangellage kommen, könnte das diesen Erholungsprozess zusätzlich verschleppen.

Vom Bundesverband der Deutschen Industrie heißt es: "Die hohen Energiepreise und die schwächelnde Konjunktur treffen die deutsche Volkswirtschaft mit voller Wucht." Die steigenden Kosten und der weltweite pessimistische Ausblick stellten eine Gefahr für Investitionen dar und würden somit das Wachstumspotenzial verringern.

Sie fordern daher: "Die Bundesregierung muss jetzt rasch die vorgeschlagenen Maßnahmen auf dem Energiemarkt umsetzen, um eine schwere Rezession noch zu vermeiden. Auch auf europäischer Ebene müssen weitere Schritte folgen."

Preise werden noch jahrelang steigen

All das sind auch schlechte Nachrichten für Verbraucher. Zwar plant die Bundesregierung verschiedene Entlastungsmaßnahmen, doch alles wird damit nicht abgefedert. Auch bei der Gaspreisbremse steht bislang auch nicht fest, wie genau sie umgesetzt wird.

Für das Jahr 2024 geht die Regierung derzeit noch von Preissteigerungen von 2,4 Prozent aus. Damit läge die Inflationsrate zwar schon wieder deutlich näher am Zielkorridor der Europäischen Zentralbank von rund zwei Prozent, ganz erreicht wäre dieser damit aber noch nicht.

Grund zur Freude ist das aber nur bedingt, wie Grömling ausführt. Nach geschätzten acht Prozent in diesem und sieben Prozent im kommenden Jahr, mute das vielleicht wenig an, aber das Preisniveau schraube sich insgesamt weiter nach oben.

Die EZB befinde sich daher in einer schwierigen Situation. Die ersten Zinserhöhungen haben bereits für einige Häuslebauer die Immobilienfinanzierung deutlich verteuert oder gar unmöglich gemacht. Weitere Zinsschritte könnten dies verschärfen – und das in einer Situation, in der die Baubranche ohnehin leidet und Wohnraum dringend benötigt wird. Gleichzeitig seien weitere Anhebungen notwendig, um "bleibende Effekte klar in die Schranken zu weisen und eine Lohn-Preis-Spirale zu verhindern", sagt Grömling.

Verwendete Quellen
  • Eigene Recherche
  • Gespräch mit Michael Grömling (IW)
  • handelsblatt.com: "Schlusslicht Deutschland" (kostenpflichtig)
  • Pressekonferenz zur Konjunktur-Prognose
  • Mit Material der Nachrichtenagentur dpa
Loading...
Loading...
Loading...
Loading...
Loading...
Loading...
Loading...
Loading...
Loading...
Loading...
Loading...
Loading...

ShoppingAnzeigen

Loading...
Loading...
Loading...
Loading...
Loading...
Loading...
Loading...
Loading...
Loading...
Loading...
Loading...
Loading...



TelekomCo2 Neutrale Website