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G7-Gipfel: Boris Johnson und Joe Biden – ein kompliziertes Verhältnis


G7-Gipfel in Großbritannien
Johnsons Kampf mit seiner Vergangenheit

Von Patrick Diekmann

Aktualisiert am 11.06.2021Lesedauer: 5 Min.
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Carbis Bay Hotel: Premierminister Boris Johnson und seine Frau Carrie Johnson empfangen US-Präsident Joe Biden und First Lady Jill Biden vor dem G7-Gipfel.Vergrößern des Bildes
Carbis Bay Hotel: Premierminister Boris Johnson und seine Frau Carrie Johnson empfangen US-Präsident Joe Biden und First Lady Jill Biden vor dem G7-Gipfel. (Quelle: Reuters-bilder)

Für Boris Johnson steht beim G7-Gipfel viel auf dem Spiel. Er muss die Beziehungen zu den USA aufwärmen – und seinen Flirt mit Donald Trump vergessen machen.

Für Boris Johnson ist der G7-Gipfel in mehrfacher Hinsicht ein Heimspiel. Seine mediale Präsenz täuscht gelegentlich darüber hinweg, dass er erst knapp zwei Jahre im Amt des Premierministers ist. Johnson muss sich im Amt immer noch beweisen, national wie international. Nun hat er das Glück, dass er in diesem Jahr gleich mehrfach im Rampenlicht der großen politischen Bühnen steht: Großbritannien richtet nicht nur den G7-Gipfel in St Ives, sondern im November auch die Weltklimakonferenz in Glasgow aus. Und Johnson liebt vor allem eines: die großen politischen Bühnen.

Neben einer persönlichen Bewährungsprobe für den Premier ist der G7-Gipfel auch wichtig für Großbritannien. Nach dem Brexit sucht das Königreich eine neue Rolle in der Welt. Im Zentrum des dreitägigen Treffens der G7 stehen vom 11. bis 13. Juni die momentan größten internationalen Probleme: die Klimakrise und die wirtschaftlichen Konsequenzen der Corona-Pandemie.

Teilnehmer des G7-Gipfels: Kanzlerin Angela Merkel (Deutschland), Präsident Joe Biden (USA), Premier Boris Johnson (Großbritannien), Premier Justin Trudeau (Kanada), Präsident Emmanuel Macron (Frankreich), Ministerpräsident Mario Draghi (Italien), Premier Yoshihide Suga (Japan). Eine Einladung haben auch die Regierungschefs von Südafrika, Australien, Indien und Südkorea erhalten.

Johnson hat im Zuge der britischen G7-Präsidentschaft gute Chancen, politische Erfolge zu erzielen. Ihm kommt zugute, dass unter den sieben Industriestaaten das Streben nach Einigkeit selten so groß war. Im Kampf gegen die globalen Krisen und im Machtkampf mit China und Russland rücken die G7 zusammen.

Biden: "Ein emotionaler Klon Trumps"

Der Architekt dieser neuen Einigkeit ist US-Präsident Joe Biden. Das bilaterale Treffen zwischen Biden und Johnson hat für beide Länder große Bedeutung. Es geht um einen Neustart der traditionell engen Beziehungen zwischen den USA und Großbritannien.

Das Verhältnis zwischen Biden und Johnson ist jedoch kompliziert. Der Premierminister ließ immer wieder Sympathien für Bidens Vorgänger Donald Trump erkennen, der seinerseits den Premier als "britischen Trump" bezeichnete. Unvergessen ist Trumps Besuch in Großbritannien vor knapp drei Jahren, als er die damalige Regierungschefin Theresa May in einem Interview brüskierte – und über ihren Kontrahenten Johnson sagte: "Ich denke, er wäre ein großartiger Premierminister." Biden wiederum bezeichnete Johnson einmal als "eine Art physischen und emotionalen Klon" Trumps.

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Ein anderer Streitpunkt war immer der Brexit: Biden, der irische Wurzeln hat, hatte Johnsons Brexit-Kurs samt der heiklen Nordirland-Frage stets gerügt. Und an einem Freihandelsabkommen, auf das Johnson nach dem Brexit hofft, zeigt Biden derzeit wenig Interesse. Trump – der sich einst als "Mr. Brexit" bezeichnete – hatte den Briten nach dem Austritt aus der EU ein "phänomenales Freihandelsabkommen" in Aussicht gestellt.

Johnsons Charmeoffensive funktioniert

Doch Johnson weiß um die Bedeutung der britischen Beziehungen zu den USA. Deshalb ging der Premier nach der Wahl von Biden zum US-Präsidenten auf Kuschelkurs, er war der erste Regierungschef aus Europa, der Biden gratulierte. Johnson sucht eine neue Liebe, versucht, die Vergangenheit mit Trump – dessen protektionistischer und populistischer Politikstil die beiden verbindet – vergessen zu machen. Er kämpft mit dieser Vergangenheit.

Johnsons Glück ist, dass Biden nicht nachtragend scheint. Das Weiße Haus betonte vor der Reise, dass Biden und Johnson miteinander können. Seit Biden im Amt ist, hätten sie "ein paar Telefonate geführt", sagte dessen Nationaler Sicherheitsberater, Jake Sullivan. Die Gespräche seien herzlich und konstruktiv gewesen. Die Charmeoffensive des britischen Premiers scheint also zu wirken.

Biden dürfte zudem nicht entgangen sein, wie deutlich Boris Johnson Donald Trump nach der Erstürmung des Kapitols am 6. Januar kritisierte. "Ich verurteile es vorbehaltlos, Menschen zu einem so schändlichen Verhalten wie im Kapitol anzustiften", sagte Johnson damals. Dass der Kongress Bidens Sieg bei der "freien und fairen" Präsidentschaftswahl vom 3. November nach der Kapitol-Erstürmung noch bestätigt habe, sei ein "Sieg der Demokratie".

In Anbetracht der Corona- und Klimakrise sieht Biden Johnson zunehmend als wichtigen Verbündeten. Es sind große Pläne, die die britische Seite in der Nacht zu Donnerstag verkündete: "Die neue Atlantik-Charta wird acht Bereiche skizzieren, in denen der Premierminister und Präsident Biden beschließen, zum Wohle der Menschheit zusammenzuarbeiten." Es geht um die Verteidigung der Demokratie, kollektive Sicherheit, das globale Handelssystem und den Wiederaufbau nach der Corona-Krise.

Hohe Erwartungen an Großbritannien

Im Kampf gegen die Pandemie und die Erderwärmung herrscht Einigkeit, deshalb verläuft das Treffen zwischen Johnson und Biden weitgehend harmonisch. Und Großbritannien sichert sich so die Rückendeckung der USA bei dem Ziel, wieder eine Vorreiterrolle in der Welt einzunehmen.

Eine zentrale Prüfung dafür wird der G7-Gipfel sein, in Großbritannien sind die Erwartungen an das Heimspiel groß. Über folgende Themen soll debattiert werden:

  • Corona-Pandemie: Es wird nicht nur um die Erholung der Wirtschaft nach der Pandemie gehen, sondern auch um die globale Impfstoffverteilung. Die USA preschten bereits vor und kündigten an, 500 Millionen Dosen an andere Länder abzugeben. Das erhöht auch den Druck auf die restlichen G7-Staaten. Biden erwartet offenbar mehr Engagement von den Europäern. Dabei hielten sich die USA und Großbritannien bei der Abgabe von Impfstoffen bislang eher bedeckt, um die eigene Bevölkerung möglichst schnell zu versorgen.
  • Klimakrise: In Großbritannien diskutieren die G7-Staaten mit Blick auf den Klimagipfel im November über weitere Maßnahmen gegen die Erderwärmung. Der Ausgang ist unklar. Umweltverbände hoffen auf ein Ausstiegsdatum für die Verbrennung von Kohle und anderer fossiler Brennstoffe.
  • Druck auf China: Bei den zwei großen Themenkomplexen scheinen die G7 ohnehin nah beieinander zu liegen. Es geht vielmehr um ein Zeichen der Geschlossenheit in diesen Fragen und um eine Botschaft an China. Denn spätestens im Herbst, beim G20-Gipfel in Italien, wird man mit Peking Kompromisse eingehen müssen, deshalb ist die US-Regierung an Harmonie im G7-Format interessiert.
  • Mindestbesteuerung von Unternehmen: Ein erster Erfolg der G7-Finanzminister ist die Einigung auf eine weltweite Steuer für digitale Dienstleistungen und die Mindestbesteuerung für global agierende Großkonzerne von 15 Prozent. Aber diese Maßnahme entfaltet nur ihr volles Potential, wenn die G20-Staaten mitziehen.
  • Entwicklungspolitik: Johnson hat von seinen Vorgängern der G7-Präsidentschaft das langfristige Thema der Entwicklungspolitik geerbt. Daher will sich auch der Premier für eine stärkere Förderung der Schulbildung von Mädchen in ärmeren Ländern des globalen Südens einsetzen. Seine Regierung besitzt dabei allerdings nur bedingt Glaubwürdigkeit, weil das Königreich zuletzt seine Ausgaben für Entwicklungshilfe gekürzt hat.

Streit zwischen Großbritannien und der EU

Während die USA und Großbritannien zurzeit harmonieren, bleibt das Verhältnis der Briten zur EU angespannt. So will die EU den G7-Gipfel nutzen, um Johnson im Streit um Warenkontrollen in Nordirland zum Einlenken zu bewegen. EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen sagte, sie werde das Thema bei einem Treffen mit Johnson und EU-Ratspräsident Charles Michel am Rande des Gipfels besprechen. Sie forderte Johnson erneut auf, getroffene Vereinbarungen umzusetzen. Sonst könne die EU Vergeltungsmaßnahmen ergreifen.

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Das sogenannte Nordirland-Protokoll des Brexit-Vertrags soll sicherstellen, dass zwischen der britischen Provinz und dem EU-Mitglied Irland keine Zollkontrollen stattfinden. Diese könnten zum Wiederaufflammen des Nordirland-Konflikts führen.

Merkels Abschied von G7-Format

Das will auch Biden verhindern, der US-Präsident muss auf seiner Europareise wahrscheinlich einigen Streit schlichten. Erst beim G7-Gipfel in Großbritannien, am Dienstag in Brüssel bei einem Treffen mit den EU-Spitzen und am Mittwoch beim Gipfel mit dem russischen Präsidenten Wladimir Putin. Die Suche nach Kompromissen wird dabei nicht leicht, die Europareise könnte vor allem dann als gescheitert angesehen werden, wenn das Treffen mit Putin keine konkreten Verbesserungen in den US-Beziehungen zu Russland bringt.

Johnson hat es beim G7-Gipfel deutlich einfacher: Er will die besondere Beziehung zu den USA aufwärmen und Großbritannien als international wichtigen Akteur präsentieren. Das hat er seiner Bevölkerung nach dem Brexit versprochen – und dieses Versprechen will er nun einlösen.

Neben diesen zwei Hauptakteuren gerät fast in Vergessenheit, dass es auch für Deutschland ein besonderer G7-Gipfel ist. Denn für Angela Merkel wird es das letzte Treffen in diesem Format als Bundeskanzlerin sein, im Jahr 2022 werden wohl Armin Laschet (CDU) oder Annalena Baerbock (Grüne) ihren Platz in dieser Runde einnehmen. Das ist vor allem für das internationale Publikum noch unvorstellbar.

Verwendete Quellen
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