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Tiergartenmord | Putins Auftragsmord in Deutschland: "Heftige Ohrfeige"


Putins Auftragsmord in Deutschland
Eine heftige Ohrfeige


Aktualisiert am 16.12.2021Lesedauer: 6 Min.
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Gerichtssaal im Kriminalgericht Moabit: Hier ist der Täter am Mittwoch verurteilt worden. (Quelle: reuters)

Nach dem heimtückischen Mord im Berliner Tiergarten ist das Gericht überzeugt: Der Täter war ein russischer Geheimagent. Das stellt die deutsch-russische Beziehung vor die nächste Zerreißprobe.

An seiner Schuld gibt es keinen Zweifel. Vadim K. erschoss 2019 im Berliner Tiergarten den Georgier Tornike K. mit einer Schalldämpfer-Pistole. Zwei Schüsse in den Rücken, einen in den Hinterkopf. Mehr als zwei Jahre nach der Tat hat das Berliner Kammergericht nun das Urteil gegen den 56-jährigen Russen verkündet: lebenslange Haft wegen Mordes.

Schuldspruch und Strafmaß sind keine Überraschung, trotzdem bietet das Urteil viel diplomatischen Sprengstoff. Denn das Gericht sieht es als erwiesen an: Vadim K. handelte nicht nur besonders heimtückisch, sondern hinter der Tat steckte auch eine politische Motivation. Er war ein russischer Geheimagent, der Mord war ein Auftrag des Kremls.

Das dreiste Verbrechen sorgt für die nächste Krise in den ohnehin angespannten Beziehungen zwischen Deutschland und Russland – und ist eine Ohrfeige des russischen Präsidenten Wladimir Putin für einen europäischen Rechtsstaat. Für die neue Bundesregierung ist es die erste große außenpolitische Bewährungsprobe, ein Prüfstein für die angestrebte "wertegeleitete Außenpolitik" der Ampelkoalition.

Putin geht gegen Gegner im Ausland vor

Der Druck auf die deutsche Politik wird nach dem Urteil größer. Der Tiergarten-Mord ist nur ein Beispiel dafür, wie Putin gegen Menschen vorgehen lässt, die er als Staatsfeinde sieht.


Erst im Jahr 2018 war der ehemalige russische Agent Sergei Skripal in Großbritannien vergiftet worden, laut der britischen Regierung mit "hoher Wahrscheinlichkeit" auf Geheiß des Kremls. Sanktionen gegen Russland und eine Eiszeit in den britisch-russischen Beziehungen waren die Folge.

Ein Jahr später starb Tornike K. im Herzen der deutschen Hauptstadt. Das Opfer wurde insbesondere deshalb als Staatsfeind betrachtet, weil er im Tschetschenien-Krieg gegen Russland gekämpft hatte. Der russische Präsident Wladimir Putin hatte den ermordeten Georgier nach der Tat als "Banditen" und "Mörder" bezeichnet. Er sei an dem Anschlag auf die Metro in Moskau im Jahr 2010 beteiligt gewesen. Beweise dafür legte die russische Regierung nicht vor.

Doch die Vorwürfe des Berliner Gerichts in der Urteilsbegründung sind umfangreich: So schickte der Kreml offenbar einen Offizier des russischen Inlandsgeheimdienstes FSB mit einer Scheinidentität nach Berlin. Ihm werden auch andere Auftragsmorde im Ausland zugeordnet, doch seine genaue Identität ist unklar. Vor Gericht ließ er lediglich über Anwälte erklären: Er heiße Vadim K., sei 50 Jahre alt und Bauingenieur.

Gericht: Tat "akribisch" vorbereitet

Putin streitet eine Beteiligung an dem Mord in Deutschland ab. Aus Moskau gab es bislang keine Reaktion auf das Urteil, lediglich der russische Botschafter in Deutschland bezeichnete das Urteil als "politisch motiviert". Auch Moskau verkaufte den Prozess stets als Hetzkampagne gegen Russland. Tornike K. sei laut dem russischen Präsidenten Opfer des kriminellen Milieus geworden, in dem er sich als "Terrorist" ohnehin bewegt habe.

Die Verteidigung unternahm vor allem den Versuch, die politische Motivation hinter der Tat anzufechten. Das ist gescheitert: Nach Überzeugung der Richter wurde das Verbrechen "akribisch" durch in Berlin stationierte Helfer vorbereitet. Diese hätten das Opfer zuvor ausgespäht und dem Angeklagten das Fahrrad sowie Ersatzkleidung für die Flucht besorgt, sagte der Vorsitzende Richter Olaf Arnoldi in der Urteilsbegründung.

Die Pistole habe Vadim K. wahrscheinlich ebenfalls erst in Berlin erhalten. Zuvor war er Feststellungen des Gerichts zufolge von Moskau aus über Paris und Warschau in die Hauptstadt gereist. Sein Aufenthalt in Berlin sei hochkonspirativ gewesen. Wo er sich aufgehalten habe, sei unklar.

Verletzung der Souveränität Deutschlands

Schnell nach der Verhaftung von Vadim K. herrschte in Deutschland in außen- und sicherheitspolitischen Kreisen im Prinzip Sicherheit darüber, dass die russische Regierung wahrscheinlich in den Mord verstrickt ist. Trotzdem gibt es nun die Gewissheit durch ein Gericht, und das erhöht den Handlungsdruck auf die Politik und die neue Bundesregierung. Immerhin ist das Urteil der Beweis für die Verletzung der Souveränität der Bundesrepublik durch Russland.

Schon im Jahr 2019 hatte der Fall die diplomatischen Beziehungen zwischen Deutschland und Russland schwer belastet. Damals warf der ehemalige Außenminister Heiko Maas (SPD) der russischen Regierung vor, die Ermittlungen nicht zu unterstützen. Die Bundesregierung ließ russische Diplomaten ausweisen, Moskau reagierte seinerseits mit der Ausweisung deutscher Diplomaten.

Viele Konflikte, immer weniger Dialog

Das Urteil dürfte nun jedoch zu noch tieferen Verwerfungen zwischen beiden Ländern führen. Das Urteil kommt in einer Zeit, in der ohnehin die deutsch-russischen Beziehungen immer weiter in die Krise rutschen.

Die Liste der aktuellen Konflikte ist lang:

  • Im Ukraine-Konflikt stationierte Moskau knapp 100.000 Soldaten und zahlreiche Panzer an der Grenze zur Ukraine. Putin spielt offen mit einem Angriff auf das Nachbarland, um Zugeständnisse durch die westlichen Partner zu erpressen. Nach der Annexion der Krim gibt es seit 2014 EU-Sanktionen gegen Russland.
  • Der belarussische Diktator Alexander Lukaschenko setzt Migranten als Druckmittel gegen die EU-Außengrenze ein. Das Regime in Belarus ist abhängig von Russland, ohne Putins Rückendeckung würde sich Lukaschenko dieses aggressive Vorgehen nicht erlauben.
  • In Syrien unterstützt Moskau weiterhin Machthaber Baschar al-Assad, in Libyen General Chalifa Haftar – in beide Regionen liefert man Waffen und schickt Söldner. Damit sympathisieren Russland und die EU in den Konflikten jeweils mit unterschiedlichen Seiten.
  • Putin geht innenpolitisch mit zunehmender Härte gegen Oppositionelle vor. Regimekritiker wie Alexej Nawalny sitzen im Gefängnis, andere mussten außer Landes fliehen. Die Menschenrechtslage in Russland führt immer wieder zu Konflikten.
  • In Russland sieht man vor allem die Nato-Osterweiterung als Gefahr für die eigene Sicherheit. Der Kreml reagiert mit eigenen Manövern in Grenznähe, russische Kampfflugzeuge testen in regelmäßigen Abständen die westliche Verteidigungsbereitschaft, indem sie in EU-Luftraum eindringen.

Von Russland angeordnete Auftragsmorde auf europäischem Boden sind der Tropfen, der das Fass fast zum Überlaufen bringt. Fest steht: In den vergangenen Jahren haben sich die Fronten in den Beziehungen zwischen EU und Russland in vielen Fragen immer weiter verhärtet. Es ist besorgniserregend, dass auf der anderen Seite der Dialog eher abnimmt – zum Beispiel schlägt der Kreml Gesprächsangebote des Westens im Ukraine-Konflikt momentan aus.

Rückenwind für Baerbock

Das Urteil im Tiergarten-Prozess könnte die deutsch-russischen Beziehungen kurz nach dem Amtsantritt von Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) nun weiter erschüttern. Die Bundesregierung wollte zunächst keinen Kommentar abgegeben. Die Entscheidung sei erst wenige Minuten alt, zudem kenne er die Begründung noch nicht, sagte Regierungssprecher Steffen Hebestreit am Mittag. "Und insofern ist es noch zu früh für eine Reaktion der Bundesregierung."

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Wie eine "wertegeleitete Außenpolitik", die die Ampelparteien in ihrem Koalitionsvertrag verankert haben, in so einem Fall aussieht, muss sich jetzt zeigen. Doch Einigkeit und ein Kurs in der Russland-Politik müssen von der neuen Regierung erst noch gefunden werden, so scheint es. Scholz agiert bislang sehr vorsichtig, setzt kommunikativ eher auf Dialog als auf Konfrontation. Die grüne Außenministerin Annalena Baerbock forderte dagegen schon vor dem Urteil einen härteren Kurs gegenüber Putin. Das Urteil im Tiergarten-Mord könnte ihr nun politischen Rückhalt in der Frage geben.

Wie reagiert Scholz?

Auch der außenpolitische Sprecher der SPD-Fraktion im Bundestag, Nils Schmid, sprach sich nach der Urteilsverkündung für eine deutliche Reaktion der Bundesregierung gegenüber der russischen Führung aus. "Es ist jetzt die Aufgabe der Bundesregierung, darüber zu entscheiden, wie darauf in angemessener Form zu reagieren ist", sagte Schmid t-online. Durch das Urteil sei klar, dass "die politische Verantwortung" in Moskau liege.

Doch welche Optionen hat die Bundesregierung eigentlich?

  • Deutschland könnte weitere Sanktionen gegenüber ausgewählten Personen in Russland oder der russischen Wirtschaft verhängen. Aus Angst vor einem russischen Angriff auf die Ukraine wurden ohnehin einige Maßnahmen im Kreis der EU vorbereitet.
  • Die Ostseepipeline Nord Stream 2 könnte weiterhin nicht in Betrieb genommen werden. Baerbock hatte sich am Wochenende dafür ausgesprochen, dass die Pipeline in ihrer jetzigen Form keine Genehmigung bekommen sollte. Die SPD möchte aber eigentlich weiter an dem Projekt festhalten.
  • Erste Konsequenzen verkündete das Auswärtige Amt bereits: Der russische Botschafter wurde einbestellt und zwei Personen, die in der russischen Botschaft tätig sind, wurden zu unerwünschten Personen erklärt. Das sind bislang jedoch eher diplomatische Symbolaktionen.

Letztlich scheint Scholz es unbedingt vermeiden zu wollen, überstürzt zu reagieren – und handelt damit eher in der Tradition seiner Vorgängerin Angela Merkel. Es ist wahrscheinlich, dass der Kanzler jetzt Maßnahmen sorgfältig abwägt und zunächst europäische Partner konsultiert.

Untätig kann die Bundesregierung nach dem Urteil jedoch eigentlich nicht bleiben, ohne das Prinzip der "wertegeleiteten Außenpolitik" zu beerdigen. Es geht nun schließlich um eine Verletzung der eigenen Souveränität durch einen anderen Staat, um einen staatlich angeordneten Mord auf deutschem Boden. Scholz sprach sich in seiner Regierungserklärung am Mittwoch im Bundestag für eine "selbstbewusste und engagierte" Außenpolitik aus. Seine Reaktion gegenüber Russland wird daran gemessen werden.

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