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USA & Europa: Konservative gegen neo-Konservative – Der Aufstand hat begonnen


Streit um Ausrichtung des Konservatismus
Der Aufstand hat begonnen

Eine Analyse von Jonas Schaible

Aktualisiert am 19.07.2018Lesedauer: 5 Min.
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Söder, Trump, Tichy: Die so verschiedenen Vertreter des Neo-Konservatismus werden zunehmend kritisiert.Vergrößern des Bildes
Söder, Trump, Tichy: Die so verschiedenen Vertreter des Neo-Konservatismus werden zunehmend kritisiert. (Quelle: Reuters/Michaela Rehle | gettyimages/Mark Wilson | imago/Horst Galuschka | Collage: t-online.de)

Ist Donald Trump unantastbar? Wächst der Einfluss der extremen Rechten unaufhaltsam? Nicht, wenn sich Konservative wehren, wie drei aktuelle Ereignisse zeigen.

Man konnte zuletzt den Eindruck haben, der Vormarsch der neuen Rechten sei unaufhaltsam. In den USA ebenso wie in Europa.

Donald Trump leistet sich seit Jahr und Tag Skandal um Skandal, ohne dass es ihm in der Gunst seiner Anhänger nennenswert schadet und ohne dass sich die Republikaner gegen ihn wenden.

In Europa treiben Österreichs und Italiens extrem rechte Regierungsparteien die Agenda voran. Im Bemühen, AfD-Wähler zu gewinnen, setzte die CSU zuletzt auf Eskalation. Wie in den USA: lange weitgehend unwidersprochen. Man ließ sich von ganz weit rechts die Agenda aufdrängen. Und man grenzte sich nicht entschlossen ab.

Doch das ändert sich gerade. In den konservativen Parteien werden Absetzungsbewegungen sichtbar. Erste Anzeichen eines Aufstands der Gemäßigten werden erkennbar.

Drei ganz unterschiedliche Episoden aus den vergangenen Tagen belegen das. Eine aus den USA, zwei aus Deutschland. Sie beweisen aber vor allem, dass die Vorherrschaft der neuen Rechten und ihrer Imitatoren in den konservativen Volksparteien nicht ohne Alternative ist. Dass die konservativen Parteien immer noch Einfluss haben. Dass es auch an ihnen liegt, ob Politiker wie Trump Erfolg haben.

Sogar Trumps Haussender wandte sich ab

Das erste Ereignis ist eine Pressekonferenz aus den USA. Trump erklärte da, er glaube, dass Russland versucht habe, die US-Wahl zu manipulieren. Seit Monaten sagen das mehr als ein Dutzend der US-Geheimdienste. Trump aber hat diese Erkenntnis stets bestritten – weil Wladimir Putin ihm versichert habe, sie stimme nicht.

Diese Position wiederholte Trump nach einem Treffen mit Putin in Helsinki. Wie so viele Male zuvor. Doch diesmal wurde Kritik laut.

Sein Haussender Fox-News kritisierte ihn in einem harschen Kommentar. Es sei "tief verstörend, dass der Präsident sich genau mit dem Land verbündet, das uns attackiert hat". Paul Ryan, der wichtigste Republikaner im Abgeordnetenhaus, sagte: "Der Präsident muss anerkennen, dass Russland kein Verbündeter ist." Mitch McConnell, der wichtigste Republikaner im Senat, sagte: "Ich glaube unseren Geheimdiensten." Und selbst Newt Gingrich, einer der einflussreichsten Politiker der Republikaner und Vordenker des rechten Flügels, ging auf Distanz: Dass Trump Putin stütze und nicht die Geheimdienste, sei "der schwerste Fehler seiner Amtszeit und muss korrigiert werden – sofort".

Und Trump, der notorisch unempfänglich ist für Kritik? Korrigierte sich.

So ist Trump noch nie zu Kreuze gekrochen

In einer Pressekonferenz las er vom Zettel ab, er habe sich versprochen, er wolle das klarstellen; also, er teile die Ansicht der Geheimdienste, dass Russland sich eingemischt habe.

Derart zu Kreuze gekrochen ist Trump bislang noch nie. Bislang hatten ihn aber auch vor allem Linke, Liberale und Demokraten kritisiert. Jetzt auch diejenigen, auf deren Unterstützung er angewiesen ist. Würden die Republikaner ihn fallen lassen, würden sie eine Amtsenthebung unterstützen, Trump wäre seinen Posten bald los. Er ist auch von ihnen abhängig. Zum ersten Mal haben sie das genutzt.

Bislang haben sie ihn gewähren lassen: Als er Journalisten verunglimpfte, Kinder von ihren Eltern trennen und in Käfigen vegetieren ließ, einen Handelskrieg eskalierte oder als er drohte, aus der Nato auszusteigen. Der aktuelle Vorfall zeigt: Sie könnten etwas verändern.

Wie sehr Trump die Weltordnung und die Verfassungswirklichkeit der USA verändert, hängt auch von ihnen ab.

In der CSU schluckten sie Kritik herunter

Auch in Deutschland wächst der Widerstand dagegen, dass die bloße Existenz der AfD die Agenda der Unionsparteien verschiebt; und gegen den Eindruck, die neue Rechte um die AfD und verschiedene Internetportale seien von der Union gar nicht so sehr verschieden.

Das zeigt, als zweites Beispiel, eine Rede Markus Söders.

Seit dem Herbst deutet sich an, dass Söder und Alexander Dobrindt den Plan verfolgen, durch langsame Eskalation die CSU rechter erscheinen zu lassen und so Wähler der AfD zu gewinnen. Schon während der Jamaika-Verhandlungen spielt Söder mit populistischer Kritik an Eliten. Dann forderte Dobrindt eine konservative Revolution, wetterte gegen eine angebliche "Anti-Abschiebe-Industrie", und er und Parteichef Horst Seehofer erklärten den Islam aus Deutschland heraus. Söder verordnete bayerischen Amtsstuben ein Kreuz. Die Rhetorik und die Forderungen wurden schärfer.

Im Vertrauen deuteten CSU-Politiker Kritik an, manche wurden auch sehr explizit. Aktive wie ehemalige. Öffentlich aber schwiegen sie. Niemand wollte als Quertreiber dastehen und am Ende die Schuld für ein mögliches schlechtes Ergebnis bei der Landtagswahl in Bayern zugeschoben bekommen.

Die Ehemaligen fingen an – die Jungen folgten

Dann eskalierte Seehofer den Konflikt mit der CDU, der Bruch der Fraktionsgemeinschaft und der Regierung schien bevorzustehen, Markus Söder sprach von "Asyltourismus" und erklärte den "geordneten Multilateralismus" für beendet. Erst als all das zusammenkam, als es bedrohlich wurde für die Union, auch als Umfragen zeigten, dass viele Wähler sich daran stören, nahm die Kritik zu.

Aber: Sie nahm zu. Plötzlich sehr schnell und vernehmlich.

Ehemalige CSU-Größen wie der Ehrenvorsitzende Theo Waigel, der ehemalige Landtagspräsident Alois Glück, der ehemalige Landesminister Hans Maier, der ehemalige Parteizeitungschefredakteur Peter Hausmann oder der ehemalige Parteichef Erwin Huber kritisierten zuerst die Parteiführung.

Der aktuelle Entwicklungshilfeminister Gerd Müller und Abgeordnete aus seinem Umfeld sowie der Parteivize Manfred Weber folgten. Auch Kommunalpolitiker und Kirchenvertreter mit Parteibuch erklärten ihren Verdruss oder gar ihren Austritt. In Berlin sprachen Kritiker jetzt offener.

Söder wechselte abrupt den Kurs

Und Markus Söder? Rief mit einem Mal im Landtag zu mehr Mäßigung und Anstand auf und sagte unter anderem: "Ich werde das Wort 'Asyltourismus' nicht wieder verwenden, wenn es jemanden verletzt." Zuvor hatte er den Begriff noch aggressiv verteidigt und sogar eine "Belehrungsdemokratie" angeprangert, als er darauf angesprochen wurde.

Auch in diesem Fall war zu sehen: Erst als sich Widerspruch regte, als einige einflussreiche Politiker aus der CSU genug hatten, erzwangen sie eine Kurskorrektur – die bei Söder genauso abrupt wirkte wie bei Trump.

Die Sehnsuchtsfigur der Konservativen zog eine Grenze

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In der CDU formieren sich darüber hinaus schon seit einigen Wochen die Liberalen, um dem offenbar stärker werdenden Neokonservatismus etwas entgegenzusetzen: Der frühere Generalsekretär Ruprecht Polenz, der ehemalige Bundessozialminister Norbert Blüm, aber auch die Ministerpräsidenten Daniel Günther, Armin Laschet und Volker Bouffier stützten die Kanzlerin oder kritisierten die CSU scharf.

Eine Gruppe von CDUlern, die Merkel inhaltlich nahe stehen, aber auch verärgerte CSU-Politiker schlossen sich jetzt zur "Union der Mitte" zusammen, die deutlich machen soll, dass längst nicht alle in der Union klaglos hinnehmen wollen, dass die Partei nach rechts verschoben wird.

Eine dritte Episode zeigt, dass sich aber nicht nur die Sozialpolitiker und Merkel-Unterstützer nach rechts abgrenzen.

Die Ludwig-Erhard-Stiftung, die mit dem Übervater der sozialen Marktwirtschaft für sich wirbt, wollte Friedrich Merz einen Preis verleihen. Merz war einst Angela Merkels wirtschaftsliberaler und konservativer Gegenspieler in der CDU, zog sich dann aber aus der Politik zurück und ist bis heute extrem beliebt unter rechtskonservativen Unionlern. Der Erhard-Stiftung wiederum sitzt Roland Tichy vor, einst Chefredakteur der "Wirtschaftswoche", heute Herausgeber eines Blogs, der weit rechts der Union steht. Er selbst beschreibt ihn als "liberal konservativ", vielen Beobachtern gelten viele Inhalte als rechtspopulistisch oder extrem rechts. Aber unter den neurechten Medien ist Tichys Blog einer der gemäßigten, mit Autoren aus der FDP oder der "FAZ".

Trotzdem verweigerte Merz Medienberichten zufolge den Preis – weil er nicht mit Tichy auf einer Bühne stehen wollte.

Einer der bekanntesten Rechtskonservativen Deutschlands markierte damit eine klare Grenze zu einem ausgesprochen bürgerlich-etablierten Vertreter der neurechten Szene. Auch das ist ein bemerkenswerter Bruch. In der Folge zogen sich mehrere Jury-Mitglieder, darunter auch t-online.de-Kolumnistin Ursula Weidenfeld, zurück. Andere Preisträger sollen angekündigt haben, die Preisverleihung zu nutzen, um Differenzen zu Tichy zu formulieren.

Wenn die Bürgerlichen und Konservativen eine Grenze ziehen, wenn sie Neokonservative, Rechtspopulisten und neurechte Rechtsautoritäre nicht machen lassen, können sie sich Gestaltungsmacht zurückholen. Der Erfolg der neuen Rechten ist nicht alternativlos.

Verwendete Quellen
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