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Markus Söder über die aktuelle Corona-Lage: "Ich vermisse ganz viel"


Corona-Anstieg
Wie Markus Söder jetzt die Seuche bekämpfen will


Aktualisiert am 11.12.2020Lesedauer: 8 Min.
Interview
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Der Gesprächspartner muss auf jede unserer Fragen antworten. Anschließend bekommt er seine Antworten vorgelegt und kann sie autorisieren.

Zum journalistischen Leitbild von t-online.
"Ich vermisse ganz viel, wie die meisten Menschen": Bayerns Ministerpräsident Markus Söder.Vergrößern des Bildes
"Ich vermisse ganz viel, wie die meisten Menschen": Bayerns Ministerpräsident Markus Söder. (Quelle: Klaus D. Wolf für t-online)

Die Corona-Zahlen steigen und steigen, doch ein Lockdown soll erst nach Weihnachten kommen. Warum? Im t-online-Interview erklärt Markus Söder die nächsten Schritte im Kampf gegen die Seuche

Donnerstag, kurz nach halb elf im Heimatministerium in Nürnberg. Markus Söder betritt einen nüchternen Konferenzraum für das Interview mit t-online. Am späten Vorabend hat er sich noch in die Talkshow von Markus Lanz zuschalten lassen, um seinen bisherigen Kurs gegen die Krise zu verteidigen. Aber jetzt sind die Infektionszahlen schon wieder gestiegen. Aus immer mehr Bundesländern kommen Signale, dass es so nicht weitergehen kann. Dass schnell etwas geschehen muss. Schnell kann Söder gut. Er ist gern vorn dran. Also schnell Cola und Kaffee, und dann los:

t-online: Herr Söder, seit elf Monaten herrscht in Deutschland die Corona-Krise. Sie kämpfen täglich dagegen. Wie fühlt man sich in diesem Ausnahmezustand als Politiker?

Ich bin ein Kind der Siebzigerjahre und habe daher schon einige Krisen und Katastrophen auf der Welt mit angesehen: den Terror der RAF, das Waldsterben, dann die Katastrophe von Tschernobyl und auch die Anschläge am 11. September 2001. Das alles war einschneidend und schrecklich. Doch Corona übersteigt das alles – es ist die größte Krise der Nachkriegszeit. Dies belegt die Zahl der Todesfälle. Ich verstehe trotzdem, dass viele von Corona müde oder gestresst sind. Aber wir dürfen nicht nachlassen. Wir müssen gemeinsam die Pandemie bewältigen.

Welcher Moment war bisher am eindrücklichsten für Sie?

Heute wie im Frühjahr ist der wichtigste Moment des Tages ganz in der Früh. Da erhalte ich die aktuellen Infektionszahlen und die Todesfälle. Das bewegt mich jeden Tag aufs Neue. Da ist es sehr aufbauend, immer wieder liebevolle und nette Briefe von Schülern sogar aus der Grundschule zu bekommen, die sich für unsere Arbeit bedanken. Das ist oft sehr rührend.

Wenn Sie sich jeden Tag mit der Bekämpfung der Pandemie beschäftigen, was vermissen Sie in Ihrem Alltag am meisten?

Ich vermisse ganz viel, wie die meisten Menschen. Natürlich würde ich gern mal wieder in andere Länder reisen oder mit der Familie in einem Restaurant gemütlich essen gehen. Da geht es mir wie vielen Menschen. Aber all das geht im Moment einfach nicht. Wichtiger als die Sehnsucht nach mehr Alltag ist die Sorge um die Gesundheit unserer Mitbürger. Wir müssen gerade die Älteren besonders schützen und solidarisch sein.

Millionen Menschen üben monatelang Verzicht, lesen, hören und sehen in den Medien rund um die Uhr Corona, können Verwandte und Freunde nicht treffen, viele erleben existenzielle Ängste. Inwiefern verändert das unsere Gesellschaft?

Ich finde, Corona trifft den ethischen Grundnerv unserer Gesellschaft. Corona legt auch offen, wie herzlich oder herzlos der ein oder andere ist. Wenn Todeszahlen nur als bloße Statistik gesehen werden, dann trifft mich das. Denn da geht es um das Leben so vieler. Und jedes einzelne Leben, das verloren geht, ist ein unheimlicher Einschnitt. Wir erleben in dieser Krise großartige Menschen, die wirklich über sich hinauswachsen. Andererseits erleben wir aber auch manche Struktur, die diesen Bewährungstest nur bedingt besteht.

Manche Menschen sind nach all den harten Monaten womöglich einfach erschöpft.

Viele suchen nach der Möglichkeit zu helfen, aber manche auch nach einem Schlupfloch, Vorschriften zu ihren Gunsten zu interpretieren. Aktuell gehen zwei Viren durchs Land: Das eine ist das Coronavirus, das andere ist das Virus der Verunsicherung und Hetze. Letzteres ist die schlimmste Nebenwirkung von Corona. Früher dachte man, Verschwörungstheoretiker seien nur eine kleine Gruppe, die glaubt, die Erde sei eine Scheibe. Aber jetzt, da dies mit den sogenannten "Querdenkern" schon sektenähnliche Strukturen annimmt, bin ich sehr dafür, dass sich der Verfassungsschutz das sehr genau anschaut. Trotzdem handelt es sich zum Glück nur um einen sehr kleinen Teil der Bevölkerung, der Großteil macht großartig mit – und dafür bin ich unglaublich dankbar.


Es sind ja eben nicht alle Gegner der Corona-Maßnahmen "Querdenker".

Wir sitzen als Gesellschaft in einem Boot. Und ich habe Verständnis, dass man Maßnahmen kritisch sieht. Viele Beschlüsse sind die Folge von Kompromissen, wie es in einer funktionierenden Demokratie eben üblich ist. Aber wir brauchen mehr gelebte Solidarität. Nehmen Sie etwa die Pflegekräfte, die zu wenig verdienen, sich in dieser Krise aber trotzdem klaglos weit über das erwartbare Maß hinaus einbringen – an ihnen könnten sich viele ein Beispiel nehmen. Corona ist ja nicht durch die Bundesregierung oder durch die bayerische Staatsregierung verursacht worden. Wir versuchen, all die Härtefälle mit Hilfen abzufedern. Die finanziellen Leistungen unseres Staates sind singulär in der Welt.

Ziemlich singulär sind auch Ihre Umfragewerte. Sie preschen gern mit scharfen Maßnahmen vor, in der Bevölkerung sind Sie aktuell sehr beliebt. Mögen die Menschen in Deutschland in Krisenzeiten eine strenge Führung?

Beliebtheitswerte sind ein Wechselspiel, das mal rauf und mal runter geht.

In Ihrem Fall vor allem rauf. Das kommt doch nicht von ungefähr.

Wichtig ist, dass die Menschen sich darauf verlassen können, dass sich die politische Führung zu hundert Prozent auf ihre Aufgaben konzentriert und bereit ist, auch schwierige Entscheidungen zu treffen und sie durchzusetzen. Die Krise kleinzureden wäre Unsinn, und das würde man uns auch zurecht nicht verzeihen. Ich finde, es ist besser, ein Problem sehr klar zu benennen und zu lösen. Natürlich werden auch Fehler gemacht, ein Wort zu hart oder weich gewählt – aber wir alle handeln nach bestem Wissen und Gewissen.

Liegt Ihr resolutes Auftreten auch an Ihrer eigenen Biografie? Ihre Eltern sind früh gestorben.

Das spielt sicherlich auch eine Rolle. Aber man muss hier weiterdenken und fragen: Was ist das für eine ethische Grundeinstellung? Legen wir damit eine Grenze fest? Das empört mich! Wenn es um Leben und Tod geht, darf man keine falschen Kompromisse machen.

Bietet Corona auch eine Chance, ethische Grundprinzipien in der Gesellschaft stärker zu verankern?

Das Weihnachtsfest bietet dafür eine besonders gute Gelegenheit. Die entscheidende Frage ist nicht, wie teuer ein Geschenk ist, sondern ob man sich Zeit schenkt. Dieses Jahr ist die Gemeinsamkeit mit der Familie das größte Geschenk.

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Also wird es dabei bleiben, dass man sich an Weihnachten pro Haushalt mit zehn Personen treffen darf?

An Weihnachten soll vor allem der engste Familienkreis zusammenkommen.

Aber warum, wenn die Zahlen doch jetzt schon so hoch sind?

Das müssen wir uns genau überlegen. Wir in Bayern haben ja schon seit Mittwoch Ausgangsbeschränkungen und Distanz- und Wechselunterricht, zudem ein Alkoholverbot in der Öffentlichkeit. Wir achten auch sehr auf die Einkaufszentren, in denen ja nicht nur eingekauft, sondern auch verweilt wird. Deswegen werden die Zugangswege und die Besucherzahlen noch stärker kontrolliert.

Kritiker werfen Ihnen vor, in Wahrheit wollten Sie ja nur noch rasch das Weihnachtsgeschäft des Einzelhandels retten.

Die FDP, von der solche Vorwürfe ja kommen, hat sich in diesem Jahr leider oft geirrt. Ich schätze FDP-Chef Christian Lindner, aber viele seiner Freunde haben davon gesprochen, dass es keine zweite Welle geben würde.

Nun fordern Sie einen bundesweiten Lockdown ab Weihnachten bis zum 10. Januar. Noch mal: Warum nicht schon früher?

Sehen Sie, dieses Interview findet gerade in Nürnberg statt. Als Sie hierher ins Ministerium gekommen sind, haben Sie draußen sicher festgestellt: Auf den Straßen ist kaum etwas los. Wir haben ein Glühwein-Verkaufsverbot, seit Mittwoch sind 40 Prozent der Schüler nicht mehr im Präsenzunterricht, der öffentliche Nahverkehr ist um die Hälfte reduziert. Von 23 Uhr nachts bis 5 Uhr morgens gilt in Hotspots eine Ausgangssperre.

Das Problem ist doch aber, dass nach wie vor in jedem Bundesland andere Prioritäten gesetzt werden. Sachsen macht bald die Geschäfte zu, Niedersachsen dagegen will über Weihnachten eventuell sogar Maßnahmen lockern.

Ich glaube, dass einige Bundesländer – unter anderem Sachsen – gegenwärtig belegen, wie schnell die Zahlen sprunghaft steigen können. Wir werden für Bayern tun, was notwendig ist, zum Beispiel haben wir die Ausgangsbeschränkung nicht nur lokal, sondern für das ganze Land organisiert. Ich rate uns zu einem einheitlichen Vorgehen und hoffe dabei auf die Ministerpräsidentenkonferenz. Wir sind lange Zeit gut durch diese Krise gekommen, aber wir dürfen jetzt nicht nachlassen.

Sind wir das wirklich? Die Corona-Lage ist in Ländern wie Japan, Australien oder Neuseeland doch viel besser als hier.

Alle drei Länder haben einen entscheidenden Vorteil.

Weil Sie Inseln sind?

So ist es.

Und Sie meinen, das sei der einzige Grund für die niedrigen Zahlen dort?

Natürlich spielt die Grenzsituation eine Rolle. Der Freistaat Bayern hat eine Außengrenze zu Nachbarländern von mehr als 1.000 Kilometern. Ein Blick auf die Corona-Landkarte zeigt: Jede Form von grenzübergreifender Mobilität hat höhere Zahlen zur Folge.

Trotzdem erklärt das die Erfolge doch nur zum Teil. Viele asiatische Länder haben aufgrund ihrer Erfahrungen mit früheren Epidemien beispielsweise sehr ausgefeilte Teststrategien. Von denen hätte man ja lernen können. Das ist es doch, was viele Bürger meinen, wenn sie endlich eine langfristige Krisenstrategie fordern.

Das Heimtückische an diesem Virus ist: Es nimmt sich jeden Freiraum, den wir ihm bieten. Die Lage verändert sich ständig. Auch in Südkorea haben wir wieder steigende Zahlen. China reagiert schon bei kleinsten Fallzahlen mit massiven Vorbeugemaßnahmen und Zwang – das ist aber nicht unser System. Wir wollen zeigen, dass eine moderne Demokratie genauso gut das Virus bekämpfen kann.

So kommt es dann auch zu Widersprüchen. Gesundheitsminister Jens Spahn hat noch im Herbst gesagt, dass es Schließungen des Einzelhandels wie im Frühjahr mit dem aktuellen Wissensstand nicht mehr geben würde. Aber jetzt stehen genau solche Schließungen wieder bevor. Verstehen Sie, dass manche Bürger so etwas als Schlingerkurs empfinden?

Ich bin meiner Linie bei Corona immer treu geblieben. Natürlich müssen wir aber angemessen und verhältnismäßig reagieren. Waren die Infektionszahlen niedriger, gab es Erleichterungen, wie den Sommer über, und wenn jetzt die Zahlen höher sind, müssen wir ebenfalls handeln. Ich verstehe, dass die Leute genervt sind – aber sie sind es nicht von der Politik, sondern von Corona. Der größte Schaden für die Wirtschaft wäre es übrigens, Corona einfach laufen zu lassen. Das Ignorieren der medizinischen Frage hat zum Beispiel den USA fundamental geschadet – medizinisch wie ökonomisch. Deswegen war es folgerichtig, dass es in den USA nun bald einen neuen Präsidenten gibt.

Freuen Sie sich auf Joe Biden?

Freude ist keine politische Kategorie, aber das Auftreten der US-Regierung war in den vergangenen Jahren schon sehr bizarr. Jetzt kommt Joe Biden, das ist gut für die transatlantischen Beziehungen, die uns sehr am Herzen liegen. Und ich glaube, Trumps Abtritt schwächt auch die AfD und die Querdenker.

Warum?

Bevor Corona die USA erreichte, unterstützte sogar die AfD im bayerischen Landtag einen konsequenten Corona-Kurs. Erst als Trump Corona relativierte und ignorierte, haben Rechtspopulisten in ganz Europa ähnlich reagiert. Hier kann man zumindest eine zeitliche Parallele herstellen.

Verwendete Quellen
  • Persönliches Gespräch mit Markus Söder in Nürnberg
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