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Der Kanzler setzt in China die falschen Prioritäten


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Angriff auf Politiker: Weitere Verdächtige identifiziert

China-Reise von Scholz
Die unangenehme Wahrheit

MeinungEine Kolumne von Ursula Weidenfeld

Aktualisiert am 01.11.2022Lesedauer: 3 Min.
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Olaf Scholz: Als erster westlicher Regierungschef reist der Kanzler nach Peking.Vergrößern des Bildes
Olaf Scholz: Als erster westlicher Regierungschef seit Beginn der Corona-Pandemie reist der Kanzler nach Peking. (Quelle: Emmanuele Contini/imago-images-bilder)

Wer die Abhängigkeit von China reduzieren will, muss den Freihandel mit den anderen Teilen der Welt durch Abkommen absichern. Und zwar jetzt.

Wenn der Bundeskanzler Ende der Woche in China landet, hat er die Mahnungen seiner europäischen Kollegen im Ohr. Deutschlands Wirtschaft sei zu abhängig von China. Europa insgesamt werde künftig seine Außenhandelsrechnung mit Peking reduzieren, und überhaupt: Muss ausgerechnet ein deutscher Regierungschef der Erste sein, der seit Beginn der Corona-Pandemie von Chinas Staatspräsident Xi Jinping empfangen wird?

Die Antwort lautet mit dem scholztypischen schlumpfigen Augenaufschlag: Ja, und zwar aus guten Gründen.

Es stimmt zwar, dass Deutschland in der Vergangenheit besonders enge Handelsverflechtungen mit China hatte. Doch auch Europa als Ganzes wird noch eine Weile auf China angewiesen sein, nicht nur wegen der Mobiltelefone und Elektronikprodukte, die China exportiert – sondern auch wegen der Rohstoffe, die Europa für seine grüne Energie- und Batteriewende braucht.

Wir müssen uns Zeit kaufen

Es ist deshalb richtig, dass der Kanzler jetzt seinen Antrittsbesuch macht. Und es ist auch nachvollziehbar, dass der Einstieg Chinas in den Hamburger Hafen nicht rundweg abgelehnt wird.

Denn im Kern geht es für Europa zunächst darum, Zeit zu kaufen. Bis neue Handelsquellen erschlossen, neue flexible Lieferketten etabliert, Ex- und Import stärker diversifiziert sind, wird es eine Weile dauern.

Dann wird China für viele Produkte zwar nicht mehr der übermächtige, aber (hoffentlich) immer noch ein wichtiger Handelspartner für viele sein. Auch wenn klar ist, dass die Rolle Europas immer an der Seite der USA sein wird: Solange es möglich ist, sind gute Handelsbeziehungen zu China im Interesse Europas.

Freihandel ja – aber zuerst mit allen anderen

Doch wie soll das gehen? Die Realität hält dafür eine unangenehme Wahrheit bereit, für die man nicht nach Peking reisen muss. Ein Kurztrip nach Brüssel tut es auch. Die Handelsabkommen mit Kanada und den Mercosur-Staaten gammeln küchenfertig in den Aktenschränken der Europäischen Kommission vor sich hin.

Besser als in China herumzulungern, wäre es, wenn Scholz diese Freihandelsabkommen durch den Bundestag brächte. Zwar verhandelt Deutschland die Verträge nicht selbst. Doch mit seinem Unterschriftgebaren verzögert oder beschleunigt es das Inkrafttreten. Meist verzögert es.

Da wäre zunächst das Abkommen mit Kanada, Ceta. Es ist beschlossen, aber ausgerechnet Deutschland ist bisher noch nicht dazu gekommen, es zu ratifizieren. Fast jeden Monat steht es zur abschließenden Beratung auf der Tagesordnung des Bundestages, immer wieder wird es abgesetzt.

Es gibt schließlich Wichtigeres zu beraten als Handelserleichterungen mit einem der engsten Verbündeten – und außerdem fürchten Umweltverbände, dass es zu laxe Regelungen für kanadische Investoren in Europa geben werde. Nächster Beratungstermin ist der 10. November.

Dieses Abkommen muss endgültig beschlossen werden, auch wegen seiner Symbolkraft. Wenn es nicht einmal mehr gelingen würde, mit den Freunden des demokratischen Westens weitreichende Verträge über die künftige wirtschaftliche Zusammenarbeit abzuschließen, mit wem soll es dann noch klappen?

Engerer Austausch mit Lateinamerika

Auch das Handelsabkommen mit den Mercosur-Staaten Brasilien, Argentinien, Uruguay und Paraguay muss nun endlich ratifiziert werden. 20 Jahre lang hatten die EU und die südamerikanischen Staaten verhandelt, bevor das Abkommen im Jahr 2019 beschlossen wurde.

Mit dem brasilianischen Präsidenten Jair Bolsonaro aber wollten sich die Europäer nicht einlassen. Dessen Politik der rigorosen Abholzung des Regenwaldes verletzte die europäischen Klima- und Naturschutzvorstellungen so eklatant, dass der Vertrag auf Eis gelegt wurde.

Nach dem erneuten Wahlsieg des ehemaligen Präsidenten Lula da Silva kann nun eine neue Dynamik entstehen. Die müssen die Europäer nutzen, wenn sie mit einer umfassenderen und von China unabhängigen Handelsstrategie wirklich Ernst machen wollen.

Zwischen den Fronten

Vor allem aber für ein neues Freihandelsabkommen mit den USA sollten sich die Europäer jetzt vehement einsetzen. Die Präsidentschaft Donald Trumps hat sie gelehrt, dass auch die Freundschaft zu den USA nicht selbstverständlich ist, dass auch Europa Gegenstand amerikanischer Handelssanktionen werden kann.

Auch das Neuverhandeln eines solchen Abkommens wird sich über Jahre hinziehen. Es ist nicht ausgeschlossen, dass in der Zwischenzeit die Amerikaner das Interesse verlieren. Es kann sein, dass Mitgliedsstaaten der Europäischen Union einen solchen Vertrag als Vorwand nehmen, um eigene Interessen durchzusetzen.

Doch Europa muss die Sache angehen. Nicht nur, weil es vom Freihandel immer profitiert hat und profitieren wird. Sondern auch, weil es sonst zwischen den Interessensphären Amerikas und Chinas zerrieben wird.

Ursula Weidenfeld ist Wirtschaftsjournalistin in Berlin. Ihr neues Buch heißt:

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