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Wirecard-Skandal: Welche Schuld trägt Finanzminister Olaf Scholz?


Dax-Konzern
Trägt Olaf Scholz eine Mitschuld an der Wirecard-Pleite?

Von Mauritius Kloft

Aktualisiert am 17.07.2020Lesedauer: 7 Min.
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Bundesfinanzminister Olaf Scholz (SPD): Er wusste offenbar schon länger von einem Verdacht der Finanzaufsicht gegen Wirecard.Vergrößern des Bildes
Bundesfinanzminister Olaf Scholz (SPD): Er wusste offenbar schon länger von einem Verdacht der Finanzaufsicht gegen Wirecard. (Quelle: imago-images-bilder)

Der Skandal um den insolventen Dax-Konzern Wirecard gleicht einem Hollywood-Thriller: Milliarden Euro sind verschwunden, ein ehemaliger Top-Manager ist auf der Flucht. Jetzt stellt sich die Frage: Wer hat eigentlich Schuld?

Vor einem knappen Monat verkündete der damalige Chef des Wirecard-Konzerns Markus Braun: 1,9 Milliarden Euro, die in der Bilanz ausgewiesen waren, gibt es wohl nicht. Es war der Anfang vom Ende des Zahlungsdienstleisters.

Seitdem überschlugen sich die Ereignisse: Der Aktienkurs stürzte ab, Braun trat von seinem Posten zurück, wurde zwischenzeitlich sogar verhaftet. Die Staatsanwaltschaft ermittelt gegen ihn wegen des Verdachts auf Betrug und Bilanzfälschung. Eine Woche nach dem Eingeständnis stellte das Unternehmen einen Insolvenzantrag. Ein Ex-Vorstandsmitglied ist seit Wochen auf der Flucht.

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Und seitdem stellen sich Investoren, Journalisten und Politiker die Frage, wer eigentlich Schuld ist an diesem Milliardenbetrug, bei dem Anleger Millionen Euro verloren haben, ein Konzern kollabiert ist und das Ansehen des Finanzplatzes Deutschlands erheblichen Schaden genommen hat, wie Fachleute kritisieren.

Mittlerweile rücken weitere Figuren in das Zentrum der Öffentlichkeit: der Chef der Finanzaufsicht BaFin, Felix Hufeld, der ehemalige CSU-Politiker Karl-Theodor zu Guttenberg sowie der jetzige SPD-Finanzminister Olaf Scholz. t-online.de klärt die wichtigsten Fragen rund um die jüngsten Entwicklungen im Wirecard-Skandal.

Was macht die BaFin – und warum steht sie in der Kritik?

Die Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht (BaFin) wacht als oberste Bundesbehörde über das Finanzwesen in Deutschland. Das meint konkret: Sie beaufsichtigt Banken, private Versicherungen und den Wertpapierhandel und passt auf, dass alles rechtmäßig zugeht. Außerdem ist sie dafür zuständig, Banken oder Versicherungen zuzulassen. Die BaFin ist als Behörde dem Finanzministerium unter Olaf Scholz unterstellt.

Im Fall von Wirecard agierte sie jedoch nicht als Aufsichtsbehörde für das gesamte Unternehmen, sondern überwachte nur die Wirecard-eigene Bank, die zur Zahlungsabwicklung zuständig war – und die in dem Bilanzskandal laut BaFin keine zentrale Rolle spielte.

Doch offenbar hat die Wirecard-Bank auch Kredite an Wirecard sowie den Ex-Vorstandschef Markus Braun vergeben. Außerdem gab es bereits 2017 sowie 2019 mehrere Sonderprüfungen bei der Wirecard-Bank, die Fachleute nun stutzig machen.

BaFin soll umgebaut werden

Kritiker werfen der BaFin unter anderem vor, viel zu lange weggeschaut zu haben und den Vorwürfen, die jahrelang gegen den Konzern erhoben worden waren, nicht konsequent nachgegangen zu sein. Der Bundesrechnungshof will nun prüfen, wie das Finanzministerium und die BaFin mit den Vorwürfen falscher Bilanzen umgegangen sind. Die EU-Wertpapieraufsicht Esma prüft bereits mögliche Versäumnisse der deutschen Finanzaufsicht.

Finanzminister Scholz hat bereits angekündigt, die BaFin umzubauen – und ihr mehr Kompetenzen zu geben. Vorschläge für ein "stärker staatlich-hoheitlich geprägtes Bilanzkontrollverfahren" seien in der Abstimmung zwischen den Ministerien und sollten zügig vorgelegt werden.

Welche Schuld trägt Finanzminister Scholz?

Das ist die entscheidende Frage. Was klar ist: Scholz wusste offenbar bereits seit anderthalb Jahren von einem Verdacht der BaFin gegen Wirecard. Das geht aus einem Sachstandsbericht des Finanzministeriums an die Vorsitzende des Finanzausschusses hervor, der mehreren Agenturen und Zeitungen vorliegt.

In dem Bericht heißt es, dass Scholz am 19. Februar 2019 darüber unterrichtet worden sei, dass die BaFin den Fall Wirecard "wegen des Verdachts des Verstoßes gegen das Verbot der Marktmanipulation" untersucht. "Es wurde darauf hingewiesen, dass die BaFin in alle Richtungen untersucht", heißt es weiter.

Überraschend ist diese Information jedoch nicht. Denn erstens gab es bereits seit Anfang 2019 Berichte der "Financial Times", die Wirecard Marktmanipulation vorwarfen. Und zweitens beschäftigte sich die BaFin ebenfalls schon damals mit dem Fall Wirecard – diese Behörde ist dem Finanzministerium unterstellt (siehe oben).

Scholz schiebt Schuld auf Wirtschaftsprüfer

Finanzminister Scholz wiederum schiebt die Schuld in dem Sachstandsbericht dem langjährigen Wirecard-Wirtschaftsprüfer EY zu, der mögliche Bilanzmanipulationen "weder erwähnt noch thematisiert" hätte, wie das "Handelsblatt" aus dem Bericht zitiert.

EY hatte Mitte Juni das Testat für die Bilanz verweigert – anschließend verkündete Ex-Vorstandschef Braun, dass es 1,9 Milliarden Euro, die auf Treuhandkonten auf den Philippinen liegen sollten, womöglich gar nicht gibt. Jahrelang hatten die Wirtschaftsprüfer jedoch nichts an den Bilanzen zu bemängeln.

Außerdem ist klar, dass sich ein hoher Staatssekretär von Scholz 2019 mehrfach mit dem damaligen Wirecard-Vorstandschef Braun getroffen hat. Über was die beiden gesprochen haben, ist indes unklar – das Finanzministerium verweist auf "Geheimschutzinteressen".

CDU-Politiker: "Es muss endlich alles auf den Tisch"

Politiker der Opposition aber auch der Großen Koalition werfen Scholz und seinem Ministerium deshalb mangelnde Transparenz vor. Der Finanzobmann der Unionsfraktion, Hans Michelbach, zeigte sich "äußerst ungehalten".

"Die Zurückhaltung von Informationen und das Hinhalten des Parlaments in der Wirecard-Affäre sind nicht länger hinnehmbar und müssen ein Ende haben", sagte Michelbach. "Es muss endlich alles auf den Tisch. Es muss Schluss damit sein, dass dem Finanzausschuss wie in der Vergangenheit Vorgänge verschwiegen werden", so Michelbach.

Der Grünen-Finanzpolitiker Danyal Bayaz kritisierte, dass Scholz dem Fall Wirecard im Bundestag bislang völlig aus dem Weg gegangen sei. "Noch immer sind im Fall Wirecard viele Fragen offen – auch über die Rolle des Bundesfinanzministeriums", sagte Bayaz.

"Der Eindruck einer kollektiven Unverantwortlichkeit wird auch dadurch bestärkt, dass Olaf Scholz bereits Anfang 2019 über den Fall Wirecard informiert war." Scholz müsse sich auch im Finanzausschuss weiteren Fragen stellen.

Welche Rolle spielt zu Guttenberg?

Der frühere Verteidigungsminister Karl-Theodor zu Guttenberg (CSU) – oder vielmehr seine Firma, Spitzberg Partners, – hat Wirecard in der Vergangenheit beraten. Das Unternehmen Guttenbergs hat mit Wirecard zwischen 2016 und 2020 zusammengearbeitet. "Wir hatten zu keinem Zeitpunkt Zugang zu noch Kenntnis von etwaigen Diskrepanzen in der Bilanzierung", sagte Guttenberg der "Bild"-Zeitung.

Seine Firma sei "entsetzt und schockiert über die jüngsten Enthüllungen und Entwicklungen" und habe das Beratungsmandat für Wirecard inzwischen beendet. "Wir haben, wie viele andere Firmen auch, ein Dax-Unternehmen beraten, das tadellos erschien, im Nachhinein aber alle getäuscht hat, inklusive der deutschen Aufsichtsbehörden."

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Konkret soll Guttenbergs Firma Wirecard beim Kauf eines chinesischen Zahlungsabwicklers beraten und unterstützt haben. "Wir haben die Bundesregierung 2019 über die geplante Akquisition in China unterrichtet", erklärte Guttenberg weiter.

Was heißt der Wirecard-Skandal für mich als Anleger?

Das kommt darauf an, ob Sie Aktien von Wirecard halten oder nicht.

In ersterem Fall haben Sie womöglich Verluste gemacht, da der Aktienkurs dramatisch abgestürzt ist. "Viele sind verzweifelt, denn der erlittene Schaden ist hoch", sagte jüngst Marc Thüngler, Hauptgeschäftsführer der Deutschen Schutzvereinigung für Wertpapierbesitz (DSW). Betroffene könnten aber möglicherweise Anspruch auf Schadenersatz haben.

  • Wirecard viermal dabei: Das sind die zehn größten Aktienabstürze der Dax-Geschichte

Gemeinsam mit der europäischen Anlegervereinigung "Better Finance" will die DSW eine Plattform bauen, über die sich Betroffene organisieren können. Anleger können sich zunächst für einen Informationsdienst anmelden, mit dem sie über die weiteren Schritte informiert werden.

"Eine Klage ist für Anleger augenscheinlich das Mittel der Wahl", erklärte Thüngler. "Aber wir arbeiten auch an alternativen Lösungen." Möglich wäre eine außergerichtliche Einigung, ähnlich wie der Verbraucherzentrale Bundesverband (Vzbv) sie im Dieselskandal mit dem Volkswagen-Konzern getroffen habe.

Wirecard-Kurs sehr volatil

Wenn Sie noch keine Wirecard-Aktien halten, sollten Sie sich einen Einstieg gut überlegen. Schließlich ist der Aktienkurs derzeit sehr volatil, also schwankungsanfällig – und die Gefahr groß, dass Sie Ihr investiertes Geld verlieren.

Wenn Sie sich doch entscheiden, in Wirecard zu investieren, sollten Sie jedoch nur Geld anlegen, das Sie nicht anderweitig benötigen – und schon gar keinen Kredit aufnehmen. Das gilt aber generell beim Aktienkauf.

Wirecard könnte bald aus dem Dax fliegen

Sie können Ihr Geld jedoch auch in einen Dax-ETF anlegen. Das ist ein Aktienfonds, bei dem ein Computeralgorithmus einen Aktienindex wie den Dax nachbildet. Noch findet sich Wirecard in den ETFs, da der Zahlungsdienstleister im Dax gelistet ist.

Das jedoch wird sich bald ändern. Schließlich ist der Aktienkurs dramatisch abgestürzt. Eine Wirecard-Aktie kostet mittlerweile nur noch etwa so viel wie eine Cola im Restaurant. Der Börsenwert des Unternehmens hat sich so ebenfalls stark verringert, rund 12 Milliarden Euro sind sprichwörtlich verbrannt. Der Börsenwert ist jedoch ein Kriterium, nach dem entschieden wird, welcher Börsenkonzern in den Dax aufgenommen wird oder nicht.

Die nächste Überprüfung findet erst im September statt. Die Deutsche Börse teilte jüngst aber mit, dass sie die Regeln für den Rausschmiss eines Konzerns aus dem Dax möglicherweise ändern werde – dann könnte Wirecard schon im August nicht mehr in dem Index gelistet sein.

Wie geht es jetzt weiter?

  • Olaf Scholz: Auf den Finanzminister werden mit Sicherheit noch unangenehme Fragen zukommen – was er wann wusste.
  • BaFin: Wie Finanzminister Scholz angekündigt hat, soll sie umgebaut werden – und mehr Kompetenzen erhalten. Ob auch personelle Konsequenzen folgen, ist derzeit noch offen.
  • Wirtschaftsprüfer EY: Auch die Wirtschaftsprüfer von EY müssen sich Kritik gefallen lassen. Schließlich haben sie jahrelang Unstimmigkeiten in der Bilanz entdeckt, erst vor einem knappen Monat verweigerten sie dem Konzern das Testat, weil die 1,9 Milliarden Euro fehlten.
  • Wirecard: Für den Wirecard-Konzern sieht die Zukunft indes ebenfalls nicht rosig aus. Nachdem das Unternehmen Insolvenz angemeldet hat, könnte es bald zerschlagen werden, schätzt der Insolvenzverwalter. Viele Interessenten für Teile des Konzerns gibt es wohl bereits.
  • Ex-Wirecard-Vorstände: Momentan ermittelt die Staatsanwaltschaft gegen den Ex-Wirecard-Vorstandschef Markus Braun wegen des Verdachts auf Betrug und Bilanzfälschung. Die BaFin zeigte ihn jüngst aber auch wegen Insiderhandels an – weil er womöglich interne Informationen über die bevorstehende Insolvenz hatte, bevor er ein gewaltiges Aktienpaket verkauft hat – und so seine Verluste eingrenzen konnte.
    Sein ehemaliger Vorstandskollege, Jan Marsalek, der für das Asien-Geschäft mit den dubiosen Treuhandkonten zuständig war, ist zurzeit noch auf der Flucht. Sein Aufenthaltsort ist unbekannt. Den Vorwürfen gegen ihn hat er laut einem Bericht nicht widersprochen. Ich dementiere die Vorwürfe auch nicht", zitierte das "Handelsblatt" am Donnerstag aus einer privaten Kommunikation Marsaleks mit einem Vertrauten über den Messengerdienst Telegram. Marsalek schrieb demnach in dem Austausch am 21. Juni: "Einer muss Schuld haben, und ich bin die naheliegende Wahl." Allerdings sei er gerade schwer zu erreichen, schrieb Marsalek. Auch gegen weitere Mitarbeiter oder Vorstände von Wirecard-Tochterfirmen wird derzeit ermittelt.
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