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Ökonom Bofinger hat neue Renten-Idee: "Rente gleicht fristloser Kündigung"


Ex-Wirtschaftsweiser warnt
"Für manche gleicht das einer fristlosen Kündigung"

  • Florian Schmidt
InterviewVon Florian Schmidt

10.03.2024Lesedauer: 6 Min.
Interview
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Der Gesprächspartner muss auf jede unserer Fragen antworten. Anschließend bekommt er seine Antworten vorgelegt und kann sie autorisieren.

Zum journalistischen Leitbild von t-online.
Container im Hamburger Hafen (Symbolbild): Die deutschen Exporte sind überraschend gestiegen.Vergrößern des Bildes
Container im Hamburger Hafen (Symbolbild): Von hier gelangen Waren "made in Germany" in alle Welt. (Quelle: Hoch Zwei Stock/imago-images-bilder)

Peter Bofinger bleibt auch nach seiner Zeit als "Wirtschaftsweiser" eine einflussreiche Stimme in der Volkswirtschaftslehre. Was er zur Rolle des Staates in der aktuellen Wirtschaftslage sagt und wie er über Steuersenkungen denkt.

Keiner war länger "Wirtschaftsweiser" als er: Bis 2019 vertrat Peter Bofinger im Beratergremium der Bundesregierung Minderheitspositionen, sprach sich aus für eine nachfrageorientierte Wirtschaftspolitik, womit er bei seinen marktliberalen Kollegen immer wieder aneckte.

Auch heute noch ist Bofinger ein viel gefragter Ansprechpartner, regelmäßig tritt er als Experte abseits seiner Universität in Würzburg auf. Vergangene Woche hat der Volkswirt am Unternehmertag am Tegernsee teilgenommen, einem Treffen von Wirtschaftslenkern, Investoren und Politikern, die sich zu den großen Fragen der Gegenwart austauschen.

t-online war mit dabei und traf Bofinger vor Ort zum Gespräch. Im Interview erklärt der Ökonom, warum Steuersenkungen für alle Unternehmen schlechter sind als gezielte staatliche Förderungen, um die Wirtschaft zu beleben, und bringt eine interessante Idee für Rentner ins Spiel.

t-online: Herr Bofinger, wie sehr fürchten Sie als Ökonom, dass Donald Trump erneut US-Präsident wird?

Peter Bofinger: Als Ökonom gar nicht so sehr. In der Wirtschaftspolitik ist der Unterschied zwischen Donald Trump und Joe Biden weniger groß, als manche vermuten. Biden verfolgt wie Trump eine America-first-Politik – er nennt es "Made in America". Sein "Inflation Reduction Act" fördert ganz gezielt die heimische Wirtschaft. Das würde Donald Trump genauso fortsetzen, da würde sich für die deutsche Wirtschaft wenig ändern.

Aber Trumps Politik dürfte doch vermutlich noch protektionistischer werden, etwa durch höhere Einfuhrzölle.

Das mag sein, aber das wäre immerhin derselbe Kurs, die bekannte Richtung. Was viel schlimmer ist als das: Trumps Politikstil ist insgesamt erratischer, er ist nicht verlässlich. Vor allem die politische Unsicherheit kann negative Auswirkungen haben, auch auf die deutsche Wirtschaft. Auch deshalb plädiere ich dafür, dass wir unser deutsches Geschäftsmodell überdenken.

Was meinen Sie damit?

Deutschland ist traditionell eine Exportnation. Der Verkauf von Autos und Maschinen ins Ausland hat uns großen Wohlstand beschert, das war sehr lange unser Geschäftsmodell. Dieses Geschäftsmodell aber gerät nun zunehmend unter Druck. Der Höhepunkt der Globalisierung liegt hinter uns, wir können uns nicht mehr allein auf unsere Exportstärke verlassen, sondern müssen mehr von innen heraus wachsen.


Quotation Mark

Wenn wir jetzt nicht gegensteuern, droht uns ein Teil der Bauwirtschaft komplett wegzubrechen.


Peter Bofinger


Und wie gelingt uns das?

Indem wir die Nachfrage in Deutschland stärken. Am schnellsten wirken würde dabei ein umfassendes staatliches Wohnungsbauprogramm. Die Lage auf dem Bau ist dramatisch. Wenn wir jetzt nicht gegensteuern, droht uns ein Teil der Bauwirtschaft komplett wegzubrechen. Mit einem Bauprogramm lassen sich gleich zwei Fliegen mit einer Klappe schlagen: Es würde sowohl die Konjunktur beleben als auch die Wohnungsnot in vielen Städten mindern. Und es hätte sogar noch einen dritten Vorteil.

Nämlich?

Die Menschen in Deutschland würden damit sehen: Der Staat tut was für uns, er kümmert sich um eines der drängendsten Themen, das viele Menschen beschäftigt. Wohnraum ist vielerorts sehr knapp, die Mieten stark gestiegen. Das führt zu sozialen Spannungen.

Wie groß müsste ein solches Wohnungsbauprogramm sein?

Das Bündnis "Soziales Wohnen" fordert 13 Milliarden Euro für die Jahre 2024 und 2025.

Das ist viel Geld – das der Staat angesichts der aktuellen Haushaltslage kaum wird aufbringen können.

Mir ist bewusst, dass das Geld im Staatshaushalt nach der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts knapp ist. Umso drängender ist deshalb eine Reform der Schuldenbremse. Der Finanzminister feiert sich dafür, dass Deutschland im internationalen Vergleich eine der niedrigsten Staatsschuldenquoten hat. Aber das ist eine falsche Prioritätensetzung, weil es uns am finanziellen Spielraum fehlt, den wir für die anstehende Transformation unseres Geschäftsmodells benötigen. In keiner anderen wichtigen Volkswirtschaft der Welt werden Zukunftsinvestitionen zurückgestellt, weil man Angst vor der Staatsverschuldung hat.

Was kann neben mehr Wohnungsbau zusätzlich zu einer Belebung der Wirtschaft führen, wie es gerade sowohl Finanzminister Lindner als auch Wirtschaftsminister Habeck wollen?

Alles, was der Transformation unseres Landes dient. Schon jetzt verlagern große Unternehmen ihre Investitionen in die USA und nach Kanada, weil sie dort umfassend durch den Staat gefördert werden. Also ähnlich, wie es der "Inflation Reduction Act" in den USA vorsieht, zum Beispiel gezielte Förderungen für Unternehmen, die in erneuerbare Energien und Elektromobilität investieren wollen.

Und was halten Sie von Steuersenkungen in der Breite, wie es gerade viele Unternehmer fordern?

Da bin ich zurückhaltend. Die Erfahrung zeigt: Das hilft zwar den Unternehmen, ihre Gewinne können dadurch steigen. Aber deshalb investieren sie noch lange nicht mehr. Dafür braucht es andere, gezielte Anreize.

Womit Sie ein Anhänger der Denkschule von Robert Habeck sind, der die Wirtschaft auch lieber mit Förderbescheiden lenken will, anstatt die Unternehmen einfach machen zu lassen.

Ja, wobei ich das Instrument einer Sofortabschreibung besser finde als einen staatlichen Scheck, also eine finanzielle Förderung.

Halten Sie den Staat für den besseren Unternehmer?

Nein, so würde ich das nicht sagen. Aber der Staat muss zusammen mit den Unternehmen die Bereiche identifizieren, in denen unser Land in den nächsten zehn Jahren global erfolgreich punkten kann. Airbus ist gutes Beispiel dafür, wie es dem Staat gelingen kann, erfolgreiche Geschäftsmodelle zu fördern. Oder nehmen Sie als Beispiel die Kernkraft: Hätte der Staat in den 1950er-Jahren nicht entsprechende Anreize gesetzt, wäre kein privatwirtschaftliches Unternehmen das Risiko eingegangen, diese Energiequelle auszuprobieren. Und so ähnlich ist das heute auch: Der Staat muss mit Förderungen neue Technologien anschieben, etwa beim autonomen Fahren oder der Künstlichen Intelligenz.

Aber woher sollen denn ausgerechnet Beamte und Politiker wissen, welche Technologie in der Zukunft die beste ist?

Erstens: Das müssen die ja gar nicht alleine machen. Sie können sich auch Hilfe holen. Aus den Unternehmen, von Gründern, von Leuten mit Ideen und Visionen. Die könnten alle sagen, in welchem Bereich mehr möglich wäre, wenn der Staat nur mehr Geld dafür zur Verfügung stellen würde. Zweitens: Es muss nicht um die eine Technologie gehen, es können auch mehrere sein. Wenn sich am Ende dann ein, zwei nicht durchsetzen, ist das nicht schlimm, solange eine andere zum bahnbrechenden Erfolg wird.

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Am Ende aber ist doch klar: Eine solche große Förderstruktur wird zum nächsten bürokratischen Monstrum, mit Anträgen, Prüfungen, Bewilligungsverfahren und, und, und …

Nein, das muss es nicht zwangsläufig. Das ließe sich auch sehr schlank aufstellen. Aber eines stimmt: In den Behörden bräuchte es dafür mehr Personal.

Das wiederum ist nicht nur im öffentlichen Dienst schon heute knapp, sondern fast überall. Wie blicken Sie auf die Mahnung der "Wirtschaftsweisen", dass Deutschland in die Wachstumssackgasse steuert, weil immer weniger Menschen arbeiten?

Ich bin da relativ gelassen, und zwar aus mehreren Gründen.

Die wären?

Das Arbeitsvolumen, also die Anzahl der Arbeitsstunden der Arbeitnehmer, erreichte 2023 einen historischen Höchststand. Dies gilt auch für die Anzahl der Arbeitnehmer, die um 900.000 über dem Niveau des Jahres 2019 lag. Ja, immer mehr arbeiten in Teilzeit, deshalb steigt das Arbeitsvolumen nicht im Gleichschritt mit der Zahl der Arbeitnehmer. Zugleich aber sehen wir, dass viele Unternehmen gerade Stellen abbauen. Das heißt, dass nicht unbedingt das Arbeitsangebot das Wachstum einschränkt. Und dann ist es ganz grundsätzlich so, dass wir mit Prognosen zur Demografie und ihren Auswirkungen in der Vergangenheit schon oft daneben lagen.

Das heißt, Sie hoffen auf den großen Zustrom hochqualifizierter Fachkräfte aus dem Ausland, die den Renteneintritt der vielen älteren Arbeitnehmer ausgleichen?

Es ist jedenfalls nicht ausgeschlossen. Und was wir auch nicht außer Acht lassen dürfen: Die Künstliche Intelligenz wird viele Jobs obsolet machen, da wird viel Arbeitskraft frei.

Zur Person

Peter Bofinger, geboren 1954, ist Seniorprofessor für Volkswirtschaftslehre an der Universität Würzburg und gilt als einer der bekanntesten Ökonomen des Landes. Von 2004 bis 2019 beriet er im Sachverständigenrat zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung als einer der fünf "Wirtschaftsweisen" die Bundesregierung. Bofinger gilt als führender Vertreter einer nachfrageorientierten Wirtschaftspolitik: Er spricht sich für einen stärker lenkenden Staat aus und sieht die marktliberale Positionen eher kritisch.

Was halten Sie von der Diskussion um eine Vier-Tage-Woche und vom Wunsch der Grüne-Jugend-Chefin, die von einer 20-Stunden-Woche träumt?

Ich kann die Aufregung darum nicht ganz verstehen. Soll doch jeder so lange arbeiten, wie er will – solange er davon leben kann. Allerdings muss man dann auch bereit sein, entsprechend weniger zu verdienen.

Aber wer macht dann die ganze Arbeit?

Noch einmal: Ich glaube nicht, dass sich die teils düsteren Prognosen für den Arbeitsmarkt in naher Zukunft so bewahrheiten müssen. Wenn wir wirklich wollen, dass mehr Stunden gearbeitet werden, könnten wir versuchen, ältere Menschen länger im Erwerbsleben zu halten.

Sie sprechen von einem höheren Renteneintrittsalter.

Nein, keinesfalls. Viele können rein körperlich gar nicht länger arbeiten, andere wollen es nicht. Aber: Für die, die länger arbeiten wollen, könnte man sich eine Flexibilisierung der gesetzlichen Regelaltersgrenze vorstellen. Viele Menschen fallen in ein Loch, wenn sie aus dem Berufsleben ausscheiden. Für manche gleicht der Beginn der Rente oder der Pension einer fristlosen Kündigung. Ich finde: Wer länger arbeiten will, sollte das auch dürfen. Deshalb könnte man überlegen, ob man Arbeitnehmer die Option einräumen sollte, ihren Arbeitsplatz ein Jahr über das gesetzliche Renteneintrittsalter hinaus zu behalten. Viele Unternehmen machen das schon heute möglich, manch andere aber nicht. Im öffentlichen Dienst könnte der Staat mit einer solchen Option sogar Geld sparen, weil er nicht parallel das Gehalt eines jüngeren Nachfolgers und die Pension zahlen muss.

Herr Bofinger, vielen Dank für dieses Gespräch.

Verwendete Quellen
  • Persönliches Gespräch mit Peter Bofinger
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