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Düstere Wirtschaftsaussichten: Die Zeichen stehen auf Sturm


Die Zeichen stehen auf Sturm

Eine Analyse von Mauritius Kloft

Aktualisiert am 30.03.2022Lesedauer: 6 Min.
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Wirtschaftsminister Robert Habeck: Er hat am Mittwoch den Gas-Notfallplan aktiviert.Vergrößern des Bildes
Wirtschaftsminister Robert Habeck: Er hat am Mittwoch den Gas-Notfallplan aktiviert. (Quelle: Kay Nietfeld/dpa/dpa-tmn)

Der Tag der schlechten Wirtschaftsnachrichten: Wegen des Ukraine-Kriegs dürfte die Konjunktur dieses Jahr ziemlich schwächeln, zugleich schnellt die Inflation noch einmal deutlich nach oben.

Als Wirtschaftsminister Robert Habeck am Mittwochmorgen vor die Presse trat, dürfte er bereits gewusst haben, dass die schweren Zeiten jetzt gerade erst beginnen. Für die deutsche Wirtschaft, und somit auch für ihn.

Denn die Prognose der Wirtschaftsweisen ist finster; Habecks Ankündigungen sind entsprechend einschneidend. Ab sofort gilt die erste Stufe des Notfallplans Gas. Jetzt ruft der Bund einen Krisenstab zusammen, jetzt wird priorisiert – wer bekommt im Ernstfall noch Gas und wer nicht? All das dient der Vorbereitung auf einen möglichen Lieferstopp Russlands.

Zur Beruhigung: Haushaltskunden sind gesetzlich geschützt, zunächst würde es Einschnitte bei der Industrie geben. Doch auch so weit sind wir noch nicht.

Explosives Gemisch

Und dennoch: Dreht Russland tatsächlich den Hahn ab, dürften die Folgen in Europa und besonders in Deutschland drastisch sein. Wie heftig es kommen könnte, wissen vor allem die Wirtschaftsweisen.

Der Frankfurter Ökonom Volker Wieland, Mitglied in ebendieser Runde, sagte bei der Pressekonferenz zur Vorstellung der heutigen Prognose: Bei einem Lieferstopp "stürzt Deutschland noch dieses Jahr in eine tiefe Rezession".

Das heiße zwar nicht, dass die Wirtschaft zum Erliegen komme. "Aber es wäre eine schwere Belastung", so Wieland. Und das umso mehr, da das Vor-Corona-Niveau noch immer nicht wieder erreicht ist. Das Bruttoinlandsprodukt dürfte 2022 voraussichtlich noch 1,8 Prozent zulegen – deutlich weniger als die bislang erwarteten 4,6 Prozent. Und auch die Vorhersage für kommendes Jahr ist nüchtern: 2023 erwarten die Regierungsberater ein Wachstum von 3,6 Prozent.

Bruttoinlandsprodukt
Das Bruttoinlandsprodukt (BIP) ist der wichtigste Gradmesser für die wirtschaftliche Leistung eines Staates. Das BIP ist der Gesamtwert aller Waren und Dienstleistungen für den Endverbraucher, die innerhalb eines Zeitraums (meist wird ein Jahr betrachtet) in einem Land hergestellt oder angeboten wurden.

"Durch den Krieg werden die wegen der Corona-Pandemie bereits angespannten Lieferketten zusätzlich beeinträchtigt", betonte Wielands Ratskollege Achim Truger. In der Ukraine werden beispielsweise Kabelbäume für die hiesigen Autobauer produziert. Teils mussten diese die Produktion bereits drosseln.

"Gleichzeitig belasten die nochmals kräftig gestiegenen Preise für Erdgas und Erdöl die Unternehmen und den privaten Konsum", so Truger weiter. Das Gemisch ist explosiv.

Weitere Ökonomen warnten vor Lieferstopp

Vor den Wirtschaftsweisen hatten bereits andere führende Ökonomen ihre Konjunkturvorhersagen nach unten korrigiert – und ebenfalls vor einem plötzlichen Lieferstopp gewarnt. Nach Berechnungen des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW) würde ein solches Embargo seitens Russlands das deutsche Bruttoinlandsprodukt mittelfristig um bis zu drei Prozent einbrechen lassen.

Auch das Institut für Makroökonomie und Konjunkturforschung (IMK) der gewerkschaftsnahen Hans-Böckler-Stiftung argumentierte ähnlich. Der russische Angriffskrieg habe den wirtschaftlichen Erholungspfad jäh blockiert, so der wissenschaftliche Direktor des IMK, Sebastian Dullien.

Inflationsrate auf historischem Hoch

Für Verbraucher machen sich die Folgen des Krieges vor allem an der Zapfsäule, beim Heizen und im Supermarkt bemerkbar. Dort steigen die Preise bereits seit Wochen. Und auch, wenn der ärgste Fall eines Lieferstopps ausbleibt, dürfte es dort wohl noch teurer werden.

Daher rechnet der Rat der Wirtschaftsweisen mit einer Inflationsrate von 6,1 Prozent in diesem Jahr. Sollten die Öl- und Gaspreise noch weiter steigen, könnte die Teuerungsrate sogar auf 7,5 bis knapp 9 Prozent klettern, warnte Wieland.

Rat der Wirtschaftsweisen
Im Sachverständigenrat zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung sitzen normalerweise fünf Top-Ökonomen, die die Bundesregierung in wirtschaftlichen Fragen beraten. Aktuell sind das Monika Schnitzer, Veronika Grimm, Achim Truger und Volker Wieland. Die fünfte Stelle im Gremium ist seit Februar 2021 unbesetzt, der Bund konnte sich bislang nicht auf einen Nachfolger für Lars Feld einigen.

Tatsächlich haben die Preise im März bereits deutlich angezogen. Wie das Statistische Bundesamt am Mittwoch ebenfalls mitteilte, stieg die Inflationsrate im Vergleich zum Vorjahresmonat voraussichtlich um 7,3 Prozent. Die dritte Hiobsbotschaft an diesem Mittwoch. Der Grund: Vor allem die steigenden Preise für Erdgas und Öl.

Droht eine Stagflation?

Nicht ohne Grund ziehen Experten bereits Vergleiche zu den 1970er-Jahren. Damals hatte das Ölförderkartell Opec die Rohölförderung verknappt, was den Ölpreis in die Höhe schießen ließ. Zwischen 1973 und 1975 verdoppelte sich der Preis, autofreie Sonntage und ein temporäres Tempolimit waren die Folge.

In diesem Kontext kam es auch zu einer sogenannten Stagflation: Der Begriff bezeichnet eine Situation, in der ein sehr geringes oder sogar sinkendes Wirtschaftswachstum (Stagnation) mit steigenden Preisen (Inflation) einhergeht.

Risiko einer Lohn-Preis-Spirale droht

Christine Lagarde, ihres Zeichens Chefin der Europäischen Zentralbank (EZB), sieht derweil keine Gefahr für eine solche Doppelbelastung. Weder eine nachhaltige Rezession noch eine stetig höhere Inflation seien momentan absehbar, sagte sie am Mittwoch in Nikosia, Zypern.

Deutschlands Wirtschaftsweisen winken angesichts des Hörensagens um eine mögliche Stagflation ebenfalls ab. Der Arbeitsmarkt sei aktuell noch stabil – erst wenn auch die Zahl der Erwerbslosen steige, könne ein solches Szenario drohen. Der Sachverständigenrat geht außerdem davon aus, dass die Inflationsrate bereits 2023 wieder zurückgeht – wenn auch nicht so stark, wie die EZB sich dies erhofft.

Statt wieder nur zwei Prozent Inflation, wie es sich die Währungshüter in Frankfurt wünschen, sei auch kommendes Jahr ein Teuerungsniveau von rund 3,4 Prozent wahrscheinlich, so die Ökonomen. Noch diesen Herbst drohe allerdings ein weiteres Inflationsrisiko: eine Lohn-Preis-Spirale. Davon sprechen Fachleute, wenn sich Löhne und Preise wechselseitig immer weiter nach oben schaukeln.

"Die Dynamik für Lohnforderungen dürfte ab dem zweiten Halbjahr 2022 zunehmen", so Volkswirtin Grimm. Denn nach dem Sommer sind einige wichtige Tarifverhandlungen geplant – die Gewerkschaften kündigten bereits an, den aktuellen Kaufkraftverlust nicht hinnehmen zu wollen. "Damit steigt das Risiko einer Lohn-Preis-Spirale", betont Grimm.

Leitzins dürfte erst 2023 steigen – Stand jetzt

Spätestens ab diesem Punkt wäre die EZB gefragt. Jüngst kündigte die Zentralbank an, den Erwerb zusätzlicher Anleihen von Staaten und Unternehmen bereits bis Mitte 2022 zurückzufahren.

Mit denen hat sie in der Corona-Pandemie noch die Konjunktur gestützt. Die Zinswende dieses Jahr blies EZB-Chefin Lagarde jedoch Anfang März vorerst ab.

Sollte eine Lohn-Preis-Spirale drohen, müsste die EZB aber wohl doch den Leitzins anheben. Dies würde wiederum das Wirtschaftswachstum ausbremsen. Der Notenbank steht ein Drahtseilakt bevor.

Staat hat milliardenschweres Paket geschnürt

Abseits der Geldpolitik muss aber vor allem der Staat handeln, um die Menschen in der aktuellen Situation zu entlasten: Bereits vergangene Woche schnürte die Ampelkoalition ein weiteres Paket, das für Erleichterung im Portemonnaie sorgen soll. Dazu gehört unter anderem eine Senkung der Energiesteuer für drei Monate, die den Liter Benzin um 30 Cent und den Liter Diesel um 14 Cent günstiger machen soll.

Zudem erhalten Arbeitnehmer einmalig 300 Euro Energiezuschuss auf ihr Bruttogehalt und Familien bekommen pro Kind einen Zuschlag auf den Kinderfreibetrag in Höhe von 100 Euro. Die resultierenden Gesamtkosten für den Staat schätzt das Bundesfinanzministerium auf rund 16 Milliarden Euro, wobei diese auch das erste Entlastungspaket aus dem Februar decken sollen.

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Ende April will Finanzminister Christian Lindner (FDP) den geplanten Ergänzungshaushalt ins Kabinett bringen. Dort sollen die Folgen des Krieges in der Ukraine abgebildet werden. Die Union als größte Oppositionspartei im Bundestag rechnet mit deutlich höheren Kosten – rund 50 Milliarden Euro.

Rekord bei Neuverschuldung

Dem Bund stünde damit in diesem Jahr ein neuer Rekord bei der Neuverschuldung bevor. Denn im Kernhaushalt sind bereits knapp 100 Milliarden Euro an neuen Schulden vorgesehen. Hinzu kommen außerdem die zusätzlichen 100 Milliarden Euro für den Sonderfonds zur Modernisierung der Bundeswehr.

Mit der Belastung aus dem neuesten Energiepaket ist Lindner eigentlich bereits über dem Niveau von 2021, als sich die Neuverschuldung auf gut 215 Milliarden Euro summierte.

Ziel: Unabhängig von Putin werden

Und die Kosten für Bund und Steuerzahler dürften noch weiter steigen. Denn die Regierung muss Milliarden aufbringen, um die Energieversorgung nun im Eiltempo umzubauen und sich so aus der Abhängigkeit von Putin zu lösen. Dafür tourte Habeck jüngst durch arabische Staaten und kaufte Flüssiggas ein.

Mit Blick auf den Schwenk auf andere Energieimporte gehen die Wirtschaftsweisen von einem langfristigen Kostenanstieg aus: "Die Energiepreise werden dadurch strukturell höher bleiben, als sie es vor dieser Krise waren", so Grimm.

Auch diese Kosten wird der Staat abfedern müssen, damit der kleine Mann nicht zu stark darunter leidet. Die Frage wird dennoch sein, ob das ausreicht.

Zur Unabhängigkeit kann nach Auffassung der Wirtschaftsweisen auch beitragen, bei der Stromerzeugung statt Gas wieder mehr Kohle zu verbrennen – und außerdem auch "eine Verlängerung der Laufzeiten von Kernkraftwerken", wie es in der Konjunkturprognose heißt.

Ökonomin: Menschen sollen Energie sparen

Am Ende sind wohl aber auch die privaten Haushalte gefragt. "Die Menschen müssen jetzt weniger verbrauchen", sagte Monika Schnitzer. Sie sollten Fahrgemeinschaften bilden, langsamer fahren und möglichst den öffentlichen Nahverkehr nutzen. In diesem Zusammenhang könnte auch die Debatte über ein Tempolimit auf Autobahnen wieder Fahrt aufnehmen.

Verwendete Quellen
  • Eigene Recherche
  • Pressekonferenz der Wirtschaftsweisen
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