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Verbrauchertäuschung bei Lebensmitteln: "Kann nur die Politik lichten"


Verbraucherschützer ordnet ein
"Kunden werden durchgehend getäuscht"


Aktualisiert am 29.03.2023Lesedauer: 5 Min.
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Eine Kassiererin in einem Discounter (Symbolbild): Einige Dinge sind dort besser als im Supermarkt, sagt Verbraucherschützer Thilo Bode. (Quelle: Manfred Segerer/imago-images-bilder)

Foodwatch-Gründer Thilo Bode rechnet mit der Lebensmittelbranche ab. Ein Interview über den Wert von Bio, Verbrauchertäuschung und die Marktmacht.

85 Prozent der Deutschen geben in einer Umfrage an, bei der Qualitätstransparenz von Lebensmitteln gar nicht mehr oder nur noch teilweise durchzublicken. Was landet da tagtäglich in unseren Einkaufswagen? In seinem neuen Buch nimmt der Gründer der Verbraucherschutzorganisation Foodwatch, Thilo Bode, die Lebensmittelbranche auseinander und analysiert die teilweise groteske Verbrauchertäuschung ("Der Supermarkt-Kompass", S-Fischer-Verlag, 22 Euro). t-online sprach mit ihm.

t-online: Herr Bode, wo kaufen Sie ein?

Thilo Bode: In unterschiedlichen Märkten, in Bio-Märkten und im Supermarkt. Aber: Ich gehe auch zum Discounter. Und das empfehle ich auch allen.

Das ist ungewöhnlich. Man würde erwarten, dass Sie nur den Gang zu Bio-Märkten empfehlen?

Das ist ein Irrtum.

Warum?

Auch beim Discounter gibt es Bio. Aber Bio gibt auch erst mal nur Auskunft darüber, dass keine Pestizide, kein Mineraldünger oder Gentechnik eingesetzt werden.

Das heißt aber auch, wo Bio draufsteht, können auch zum Beispiel Zusatzstoffe eingesetzt werden?

Ja, zwar weniger, aber auch bei Bio sind problematische Zusatzstoffe erlaubt. Generell sagt Bio nur erst einmal etwas über die Erzeugung der Rohstoffe aus. Bei verarbeiteten Lebensmitteln sind die Kennzeichnungsvorschriften bei konventionellen und Bio-Produkten gleich schlecht.

Also ist Bio nicht automatisch gesünder?

Nein, nicht zwangsläufig.

Was kaufen Sie beim Discounter?

Eigentlich alles, was ich sonst auch woanders kaufen würde, die Qualität ist beim Discounter nicht anders als im Supermarkt. Discounter können jedoch wegen eines kleineren Sortiments und wegen geringerer Lager- und Transportkosten günstigere Preise anbieten. Der Discounter hat darüber hinaus sogar Vorteile gegenüber dem Supermarkt.

Thilo Bode
Thilo Bode (Quelle: Peter Rigaud)

Thilo Bode, geboren 1947, studierte Soziologie und Volkswirtschaft in München und Regensburg. 1989 wurde er Geschäftsführer von Greenpeace Deutschland, 1995 von Greenpeace International. 2002 gründete er die Verbraucherrechtsorganisation Foodwatch, um Täuschung und Gesundheitsgefährdung im Lebensmittelmarkt zu dokumentieren sowie die Schwachstellen in der Gesetzgebung aufzudecken.

Welche sind das denn?

Das kleinere Sortiment führt zu einem schnelleren Umschlag der Produkte. Das ist betriebswirtschaftlich ein Vorteil, hat aber auch positive Auswirkungen für Verbraucher. Das gilt vor allem für Lebensmittel wie Obst und Gemüse, die bei günstigeren Preisen deshalb oft frischer sind als bei konventionellen Supermärkten.

In Ihrem Buch kritisieren Sie die Marktmacht der Discounter und der Supermärkte, die Sie als die Big Four – die großen Vier – bezeichnen.

Ja, Aldi, Lidl, Edeka und Rewe dominieren den Lebensmittelmarkt. Wenn man ihre jeweiligen Töchter mit einrechnet – also Kaufland ist Teil des Lidl-Konzerns, Penny gehört zu Rewe usw. – haben sie einen Marktanteil von 85 Prozent.

Was ist daran so bedenklich?

Es übt einen besonderen Druck auf Lebensmittelhersteller und Landwirte aus. Werden ihre Produkte nicht in diesen Ketten angeboten, haben sie praktisch kaum einen anderen Absatzmarkt. Damit haben die Ketten ein Mittel in der Hand, die Preise zu diktieren. Der Druck, möglichst billig zu produzieren, ist damit enorm hoch.

Ihre Kernthese ist ja – wenn ich es richtig verstanden habe –, dass die Qualität der Lebensmittel für den Verbraucher schlicht nicht zu beurteilen ist. Und das sagen ja auch Umfragen, dass die Leute bei der Kennzeichnung der Produkte gar nicht mehr oder nur noch teilweise durchblicken …

Ja, nehmen Sie als Beispiel Olivenöl. Sie finden in den Regalen Produkte im Preis von vier bis 30 Euro. Alle sind extra vergine, sind also alle Güteklasse 1. Was unterscheidet nun die Öle? Das erschließt sich nicht, und damit ist es völlig legitim und auch logisch, zum günstigsten Produkt zu greifen. Und damit eben auch, beim Discounter einzukaufen.

Sie kritisieren auch die teilweise abstrusen Kennzeichnungsvorschriften für Lebensmittel.

Sehen Sie, ein Tomatenmark darf mit dem Label "Hergestellt in Italien" werben, die verarbeiteten Tomaten stammen jedoch aus China. Schwarzwälder Schinken muss in der Region hergestellt werden, doch das Fleisch kann auch aus anderen EU-Ländern kommen. Ich halte das für Verbrauchertäuschung.

Besonders aberwitzig ist auch die Kennzeichnung bei Honig …

Richtig, das gilt besonders für die Herkunftskennzeichnung. Diese erlaubt, auf das Etikett zu schreiben: "Mischung aus EU- und Nicht-EU-Ländern". Was soll man damit anfangen? Im Kern sagt das dem Verbraucher: Er kommt anscheinend nicht vom Mond. Und mehr auch nicht.

Der Anteil von Bio ist bei Fleisch besonders gering. Es hat einen Marktanteil von ein bis drei Prozent. Kann ich denn wenigstens guten Gewissens zu Bio-Fleisch greifen? Stammt es von glücklichen Schweinen oder Rindern?

Leider nein, nicht automatisch, denn auch bei Bio-Produkten ist kein staatlich ausreichender Gesundheitsschutz für die Tiere vorgeschrieben. In der Bio-Landwirtschaft werden die gleichen krankheitsanfälligen Hochleistungsrassen eingesetzt wie in den konventionellen Betrieben. Sie leiden deshalb im vergleichbaren Umfang wie die konventionell gehaltenen Tiere oftmals unter sehr schmerzhaften Krankheiten.

Wie der Landwirt mit seinen Tieren – intelligente, fühlende Wesen – umgeht, das verrät also weder das Bio-Label noch die inzwischen auf den Packungen ausgewiesenen Haltungsbedingungen, die unter dem Label "Initiative Tierwohl" firmieren. Abgesehen davon ist auch die Klimaschädlichkeit der Fleisch- und Milchproduktion in etwa die gleiche – egal, ob die Bauern eine Bio- oder eine konventionelle Erzeugung betreiben.

Bei Obst und Gemüse kritisieren Sie auch die unzureichende Sortenvielfalt.

Ja, bei Äpfeln finden Sie überall in etwa die gleichen sechs bis sieben Sorten, dabei gibt es Tausende von Apfelsorten. Doch angeboten werden immer dieselben Sorten, weil diese besonders ertragreich sind oder sie gut zu transportieren oder zu lagern sind.

Bei Erdbeeren haben Sie darüber hinaus noch andere Einwände.

Sie kommen meist aus Regionen, in denen das Klima für den Anbau geeignet ist, aber in denen bereits heute schon Wassernot herrscht. Abgesehen davon werden im Anbau und vor allem bei der Ernte schlecht bezahlte und schlecht behandelte Arbeiter eingesetzt, um dem Preisdruck standzuhalten.

Was ist nun Ihr Rat an die Verbraucher? Können wir – nachdem wir Ihr Buch gelesen haben, in dem ja noch viele andere Beispiele aufgezählt sind – etwas mit unserem Einkaufsverhalten an den Zuständen ändern?

Nach der Lektüre wissen Sie vor allem, was Sie nicht bekommen und wie Sie durchgehend getäuscht werden. Das halte ich für eine sehr wichtige Aufklärung. Allerdings bin ich überzeugt davon, dass "Verbrauchermacht" im Lebensmittelmarkt eine Illusion ist.

Da wir schlicht nichts Genaues wissen über die Herkunft der Produkte, ihre Herstellung, ihre Klimabilanz oder die sozialen Bedingungen im Produktionsprozess, können wir auch schlecht richtig oder falsch handeln. Oder mit unserem Einkaufsverhalten irgendeine Art von Druck auf die Händler erzeugen.

Diesen Dschungel kann nur die Politik lichten, nur sie kann die Verbrauchertäuschung stoppen. Und solange dies nicht geschieht – und dafür gibt es bislang kaum Anzeichen: Gehen Sie ruhig weiter zum Discounter – ohne schlechtes Gewissen.

Herr Bode, wir danken Ihnen für das Gespräch!

Transparenzhinweis
  • Die Informationen ersetzen keine ärztliche Beratung und dürfen daher nicht zur Selbsttherapie verwendet werden.
Verwendete Quellen
  • Interview mit Thilo Bode
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