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Außenministerin Baerbock in Japan: Das Wasser steht bis zum Hals


Außenministerin Baerbock in Japan
Der helle Wahnsinn

Von Patrick Diekmann

Aktualisiert am 07.11.2023Lesedauer: 6 Min.
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G7-Treffen in Japan: Annalena Baerbock steigt am Flughafen Tokyo-Haneda aus dem Flugzeug.Vergrößern des Bildes
G7-Treffen in Japan: Annalena Baerbock steigt am Flughafen Tokio-Haneda aus dem Flugzeug. (Quelle: Sina Schuldt/dpa)

Die G7-Außenminister treffen sich in Japan, weit weg von den Schlachtfeldern der Ukraine und des Gazastreifens. Der Gastgeber will vor allem über eine andere Gefahr sprechen.

Von Patrick Diekmann aus Tokio

Als Außenministerin Annalena Baerbock am Dienstagabend (Ortszeit) in Tokio landet, begrüßt das Land der aufgehenden Sonne sie mit einem Sonnenuntergang. Wenig später ist es bereits dunkel und Tokio wird zu einem Lichtermeer. Die Straßen der Metropole sind gesäumt von Laternen und Neontafeln mit japanischen Schriftzeichen, durch die sich nun Baerbocks Delegation den Weg zum Treffen der G7-Außenministerinnen und -minister bahnt. Zeit gibt es keine zu verlieren, der Grünen-Politikerin bleiben in Japan gerade einmal 30 Stunden.

Chaotisch, laut, der helle Wahnsinn: Das Straßenbild Tokios steht sinnbildlich für die aktuelle weltpolitische Lage. Im Angesicht der globalen Umbrüche haben die G7-Treffen an Relevanz gewonnen. Das Treffen in Japan wird zum Nadelöhr der großen Krisen: Nahost, der russische Angriffskrieg in der Ukraine und vor allem Gastgeber Japan möchte dringend ein Thema auf die Agenda setzen: China – und die wachsende Kriegsgefahr im Indopazifik.

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Japans Dilemma

"Es ist die Stärke des Rechts, das zählen muss. Nicht das Recht des Stärkeren", sagte Baerbock nach ihrer Ankunft in Tokio auf dem Rollfeld des Flughafens. "Deshalb ist es wichtig, dass wir als G7 auch mit Blick auf die angespannte Weltlage und den Nahen Osten zusammenkommen."

Die Erschütterungen für die gesamte Welt sind in der Tat heftig. Erst die Corona-Pandemie, dann überfällt Wladimir Putin im Jahr 2022 die Ukraine, nun gibt es einen neuen Krieg im Nahen Osten und die israelische Armee kämpft nach dem Terroranschlag Anfang Oktober um die Zerstörung der Hamas.

Diese Krisen kommen zur Unzeit, vor allem für Japan. Die japanische Führung gilt zwar als Wertepartner für die europäischen und nordamerikanischen Demokratien. Japan setzte Sanktionen gegen Russland um, importiert aber weiterhin russische Rohstoffe. Sicherheitspolitisch arbeitet die Inselrepublik immer mehr mit Nato-Staaten zusammen – noch immer sind einige US-Basen auf japanischem Staatsgebiet und es gibt gemeinsame Marinemanöver mit einer Reihe von Staaten.

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(Quelle: Sina Schuldt)

Wer nimmt an G7-Treffen teil?

Deutschland, Frankreich, Großbritannien, Italien, Japan, Kanada, USA und die Europäische Union.

Für Japan sind sowohl der russische Angriffskrieg in der Ukraine als auch der Nahostkonflikt weit weg. Zwar versucht der Gastgeber, in dieser kritischen Zeit seiner Verantwortung gerecht zu werden. Dennoch müssen die G7 Tokio bei der Themensitzung dieses letzten Treffens der japanischen Präsidentschaft entgegenkommen.

Insgesamt wird es beim Treffen in der japanischen Hauptstadt um drei Schwerpunkte gehen:

1. China und der Indopazifik

Die Volksrepublik bleibt die größte sicherheitspolitische Herausforderung für viele asiatische Staaten – so auch für Japan. China hat sich zur zweitgrößten Militärmacht nach den USA entwickelt, die chinesische Marine verfügt mittlerweile über mehr Schiffe als die Amerikaner. Und die russische Invasion in der Ukraine führte dazu, dass sich das Bündnis zwischen dem chinesischen Präsidenten Xi Jinping und seinem russischen Amtskollegen Wladimir Putin festigte.

Für Japan ist das ein Alptraum, der zuletzt im August 2022 zu eskalieren drohte. Vor mehr als einem Jahr besuchte die damalige Sprecherin des US-Repräsentantenhauses Taiwan, worauf China wütend reagierte. Die chinesische Volksbefreiungsarmee führte Manöver durch, schoss Raketen ab, von denen fünf in der ausschließlichen Wirtschaftszone Japans bei den Okinawa-Inseln landeten. Für Japan ein Schock mit einer bitteren Erkenntnis: Sicherheitspolitisch steht dem Land das Wasser bis zum Hals.

Die Sicherheitslage ist für Japan durchaus prekär. Es gibt japanische Inseln, die Peking für sich beansprucht. Russland und China sind Atommächte, und auch Nordkorea befeuert mit Atomwaffen- und Raketentests Ängste in Japan. Die Folge: Mittlerweile erlebt auch die japanische Gesellschaft eine sicherheitspolitische Zeitenwende, die aber schleppend voranschreitet.

Zwar investiert Japan innerhalb von fünf Jahren umgerechnet 300 Milliarden Euro in sein Militär. Damit wäre das Land in dieser Zeit weltweit auf Rang drei hinter den USA und China. Es ist das größte Aufrüstungsprogramm nach dem Zweiten Weltkrieg, aber Geld ist eben nicht alles. Denn die japanischen Selbstverteidigungsstreitkräfte haben seit ihrer Gründung nach dem Zweiten Weltkrieg eine pazifistische Tradition – ähnlich wie die gesamte japanische Gesellschaft. Die Folge: Japan hat zwar eine Armee, aber diese findet keinen Nachwuchs.

Dadurch hat Japan lediglich eine Möglichkeit, um mit der aggressiven Expansionspolitik Chinas umzugehen: Es braucht starke Verbündete. Damit sind in erster Linie die USA gemeint, aber auch darüber hinaus schloss die japanische Führung in den vergangenen Jahren erfolgreich Allianzen mit Südkorea, Australien und den Philippinen.

Dass viele Staaten in der Region in Angst vor China leben, hilft Japans Strategie. Auch die europäischen G7-Staaten haben ein Eigeninteresse, sich in der Region zu engagieren. Immerhin werden aktuell zwei Drittel des globalen Wirtschaftswachstums im Indopazifik generiert, die Region wird also immer bedeutender.

2. Der Nahostkonflikt

Das erste Thema des G7-Treffens der Außenministerinnen und -minister wird jedoch am Dienstagabend (Ortszeit) der Nahostkonflikt sein. In ihrem ersten Statement nach der Landung bekräftige Baerbock das Selbstverteidigungsrecht Israels nach den Terrorangriffen der Hamas vom 7. Oktober. Die Außenministerin sprach sich jedoch auch für eine humanitäre Feuerpause aus, damit Hilfe die Zivilisten im Gazastreifen erreichen kann.

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Die "Logik des Terrorismus, dass Zivilisten für Terrorismus missbraucht werden, die darf nicht aufgehen", sagte Baerbock. Es sei wichtig, "dass wir gemeinsam deutlich machen, dass Israel deutlich macht: Der Kampf gilt der Hamas, der Terrororganisation und nicht den unschuldigen Menschen in Palästina", ergänzte sie.

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Großen Streit darüber wird es unter den G7-Staaten in Tokio nicht geben. Auch US-Außenminister Anthony Blinken wird in Japan sein und wahrscheinlich von seinen Gesprächen in Nahost berichten. Es wird also vielmehr darum gehen, den israelischen Ministerpräsidenten Benjamin Netanjahu zu überzeugen, dass es auch im strategischen Interesse Israels ist, Hilfe zu ermöglichen.

Daneben werden auch die G7 darüber beraten, wie der Gazastreifen nach diesem Krieg verwaltet werden kann. Und es wird um das Schicksal der Geiseln gehen, die noch immer von der Terrorgruppe Hamas festgehalten werden. Denn Verhandlungen über deren Freilassung laufen noch immer im Hintergrund, bislang mit wenig Erfolg.

3. Der Krieg in der Ukraine

Die G7 möchte zudem dem Eindruck vorbeugen, dass der Nahostkonflikt den russischen Angriffskrieg in der Ukraine überschattet. Es soll verhindert werden, dass am Ende Kreml-Chef Wladimir Putin von der Eskalation zwischen Israel und der Hamas profitiert.

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Baerbock warnte: "Wenn wir jetzt bei unserer Unterstützung für die Ukraine außer Atem kommen, wird Putin das gnadenlos ausnutzen – mit furchtbaren Folgen für die Menschen in der Ukraine und Europa."

Deshalb wird es in Tokio auch um einen Winterschutzschirm für die Ukraine gehen. Der Hintergrund: Viele Expertinnen und Experten erwarten in den kommenden Monaten eine höhere Intensität der russischen Angriffe auf die Infrastruktur, mit denen der ukrainische Durchhaltewillen geschwächt werden soll. Die Bundesregierung hatte zuletzt Patriot-Systeme, IRIS-T und weitere Gepard-Flakpanzer in die Ukraine geschickt und hofft darauf, dass auch weitere G7-Staaten nachziehen.

Dabei fürchtet der Westen etwas die Zeit. In den USA ist im kommenden Jahr eine Präsidentschaftswahl und es ist unklar, wie viele Waffenpakete der größte Unterstützer der Ukraine noch auf den Weg bringen kann. Deshalb sind Gespräche in Tokio zum jetzigen Zeitpunkt – vor Wintereinbruch – von großer Relevanz.

G7 als solides Fundament für den Westen

Es ist nicht zu erwarten, dass es zu einem großen Streit in Japan kommen wird. Die G7 waren einmal die einflussreichsten Industrieländer der Welt. Der wirtschaftliche Einfluss aber geht zurück; in diesem Format finden sich keine Brics-Staaten – also aufstrebende Wirtschaftsmächte wie China und Indien. Aus den G7 ist eher eine Wertepartnerschaft geworden, Kritiker bezeichnen die Treffen als Selbstbeschäftigungstherapie der westlichen Hemisphäre.

Diese Kritik aber verkennt, dass das Format seit der Corona-Pandemie durchaus Erfolge hatte. Die Staaten konnten sich immer wieder auf Wirtschaftshilfen, auf Maßnahmen im Kampf gegen die Klimakrise oder eben auf weitere Schritte bei der Unterstützung der Ukraine verständigen. Auch eine Wertepartnerschaft hilft am Ende dabei, gemeinsame Instrumente für gemeinsame Ziele zu finden. Im Angesicht der aktuellen geopolitischen Umbrüche bieten die G7 für den Westen ein solides Fundament – und das gibt dem Format aktuell wieder eine größere Bedeutung.

Verwendete Quellen
  • Begleitung der Reise von Außenministerin Baerbock nach Japan
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