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Umstrittenes Pipeline-Projekt mit Russland: "Nord Stream 2 ist so gut wie tot"


Umstrittenes Pipeline-Projekt
"Nord Stream 2 ist so gut wie tot"


Aktualisiert am 24.01.2021Lesedauer: 8 Min.
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Im Gewerbegebiet Lubmin: Auf einem Container ist der Verlauf von Nord Stream 2 durch die Ostsee aufgemalt.Vergrößern des Bildes
Im Gewerbegebiet Lubmin: Auf einem Container ist der Verlauf von Nord Stream 2 durch die Ostsee aufgemalt. (Quelle: Stefan Sauer/dpa)

Mit Nord Stream 2 sollte Gas billiger und die Beziehungen zu Moskau besser werden. Gebracht aber hat das Projekt vor allem Streit. Weil auch der neue US-Präsident gegen die Pipeline ist, ist unklar, ob sie je beendet wird.

Wer mit dem Amtswechsel in Washington die Hoffnung auf bessere Zeiten für die Ostsee-Pipeline Nord Stream 2 verband, wurde in dieser Woche eines Besseren belehrt. Der designierte US-Außenminister Antony Blinken machte bei einem Auftritt im US-Kongress deutlich, dass die Regierung des neuen Präsidenten Joe Biden nicht vorhat, den Druck auf das Projekt zu mindern. Die Pipeline sei eine schlechte Idee, sagte Blinken, und man werde "jedes überzeugende Instrument" einsetzen, um es zu verhindern.

Nord Stream 2 stand von Beginn an unter keinem guten Stern. Doch nun scheint es, als würden bei dem russisch-deutschen Gasprojekt tatsächlich die Lichter ausgehen. Am Dienstag wurde bekannt, dass nach dem Schweizer Offshore-Spezialisten Allseas und der norwegischen Zertifizierungsfirma DNV auch der deutsche Industriedienstleister Bilfinger aus dem Unternehmen ausgestiegen ist. Die Erklärung des Projektbeteiligten Uniper wenige Stunden später, man stehe zu Nord Stream 2 und sei nach wie vor überzeugt, dass die Pipeline zu Ende gebaut wird, wirkte da wie Zweckoptimismus.

Für den Politikwissenschaftler Andreas Umland vom Ukrainischen Institut für die Zukunft (UIF) in Kiew ist inzwischen klar: Nord Stream 2 hat keine Zukunft mehr. Seit der Sanktionsdruck der Amerikaner Wirkung zu zeigen beginnt, ist es aus seiner Sicht um die Pipeline geschehen. "Weil jede Beteiligung automatisch zum Ausschluss vom amerikanischen Markt und vom amerikanischen Finanzsystem führt, wird eine Firma es sich zweimal überlegen, ob sie dieses Risiko eingeht." Der Russland- und Ukraine-Experte sagt deshalb: "Nord Stream 2 ist so gut wie tot."

Neuorientierung nach dem Kalten Krieg

Die Überlegungen zu der Pipeline reichen zurück bis in die Zeit nach dem Kalten Krieg. Mit dem Zerfall der Sowjetunion in den frühen 90er-Jahren änderten sich auch die Bedingungen für die Lieferung von russischem Gas nach Westeuropa schlagartig. Russland suchte nach Wegen, um die Nachbarn im Westen, die plötzlich nicht mehr dem eigenen politischen Block angehörten, sondern souveräne, nicht selten politisch entgegengesetzte Interessen verfolgten, zu umgehen. Allen voran die Ukraine, das wichtigste Transitland, das seit seiner Unabhängigkeit mehrere Machtwechsel erlebte und von mal mehr und mal weniger Kreml-freundlichen Regierungen geführt wurde.

So entstand die Idee des Baus einer Gasleitung durch die Ostsee nach Deutschland. Maßgeblich vorangetrieben wurde das Projekt vom russischen Präsidenten Wladimir Putin und dem damaligen deutschen Bundeskanzler Gerhard Schröder. Die von der SPD geführte Regierung war sogar bereit, weitgehende Garantien für das privat finanzierte Vorhaben zu übernehmen. Noch in den letzten Tagen ihrer Amtszeit brachte sie im Herbst 2005 eine Bundesbürgschaft auf den Weg, um die Kredite für den Bau der Pipeline abzusichern. Ein Deal mit Geschmäckle: Schröder wechselte nur wenige Wochen nach seiner Niederlage bei der Bundestagswahl als Aufsichtsratsvorsitzender zur Nord Stream AG.

Nord Stream 2 soll Kapazitäten verdoppeln

Im April 2010 wurde vor der russischen Ostseestadt Wyborg das erste Röhrensegment von Nord Stream 1 auf dem Meeresboden verlegt, rund 20 Monate später ging der erste von zwei Strängen der Pipeline in Betrieb. Und noch während an der Fertigstellung von Nord Stream 1 gearbeitet wurde, begannen bereits Planungen für den Bau einer zweiten Pipeline. Die neue Leitung, so das Versprechen, sollte die Kapazitäten verdoppeln, das Angebot verbessern und so die Preise senken.

2015 gründeten der russische Rohstoffriese Gazprom, die deutschen Energieunternehmen Uniper und Wintershall, sowie Royal Dutch Shell aus den Niederlanden, OMV aus Österreich und Engie aus Frankreich eine Projektgesellschaft für den Bau der 1.230 Kilometer langen Doppelröhre. Seit 2016 ist die Gesellschaft aus wettbewerbsrechtlichen Gründen im alleinigen Besitz der Gazprom. Die anderen Partner blieben aber weiter finanziell beteiligt.

Wie schon Nord Stream 1 stand auch das neue Pipeline-Projekt von Beginn an in der Kritik. Polen, die baltischen Staaten und die Ukraine sahen darin eine Gefährdung ihrer Sicherheit und ein Instrument russischer Erpressung. EU-Kommission und -Parlament sowie Europäischer Rat lehnten die Pipeline als Bedrohung für die europäische Energiesicherheit ebenfalls ab.

Gabriels Erdgas-Diplomatie

Auch in der Regierungskoalition in Berlin regte sich Unmut. Warnungen vor einer energiepolitischen Abhängigkeit von Russland wurden lauter. Doch es war der damalige Vizekanzler und Parteikollege von Gerhard Schröder, Sigmar Gabriel, der das Projekt verteidigte und weiter maßgeblich vorantrieb. Die Versuche des damaligen Wirtschaftsministers, das Projekt an Brüssel vorbei mit Moskau festzuzurren, führten bei einem Treffen der EU-Staats- und Regierungschefs zum offenen Streit.

Das war im Dezember 2015. Eineinhalb Jahre zuvor hatte sich Russland die ukrainische Halbinsel Krim einverleibt. Russische Verbände waren im Donbass einmarschiert und halten das Gebiet bis heute besetzt. Dass Deutschland unter diesen Bedingungen weiter an Nord Stream 2 festhielt, drängte die Bundesregierung in Europa zunehmend in die Isolation. Die Lage verschärfte sich, als sich 2017 Abgeordnete des US-Kongresses der osteuropäischen Kritik an dem deutsch-russischen Pipeline-Vorhaben anschlossen. Sie brachten ein Gesetz ein, das Firmen und Personen mit Sanktionen belegt, die sich an der Pipeline beteiligen.

USA besorgt um Moskaus geopolitische Ambitionen

Nicht wenige meinen, den Amerikanern geht es vor allem darum, ihrem durch Fracking geförderten Flüssiggas einen besseren Marktzugang in Europa zu verschaffen. Doch Experte Andreas Umland sieht andere Interessen im Vordergrund. "Die Initiatoren des Gesetzes – im Übrigen Demokraten wie Republikaner – sehen in Nord Stream 2 vor allem ein geopolitisches Projekt Moskaus, das Länder wie die Ukraine und Polen zu schwächen und Europa in eine Abhängigkeit von Russland zu bringen droht. Das wollen sie verhindern. Das amerikanische Gas spielt nur am Rande eine Rolle. Im globalen Vergleich der Flüssiggasexporteure spielen die USA eher in der zweiten Liga", so Umland. Die Vereinigten Staaten belegten 2019 den dritten Platz der größten Flüssiggasexporteure, rutschten im Corona-Jahr 2020 jedoch aus den Top 10.

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Die Regierung von US-Präsident Donald Trump machte sich die Linie des Kongresses zunehmend zu eigen. Im Juli vergangenen Jahres erhöhte US-Außenminister Mike Pompeo nochmals den Druck und sprach eine klare Warnung aus. Eine Unterstützung und Begünstigung bösartiger russischer Projekte wie Nord Stream 2 werde nicht toleriert, sagte er. "Zieht euch jetzt zurück, oder tragt die Konsequenzen."

Der Anschlag auf Nawalny änderte vieles

Zu diesem Zeitpunkt, im Sommer 2020, war die Pipeline bereits fast vollendet. Nur jeweils 75 Kilometer der beiden Röhren fehlen heute noch, davon 60 in Dänemark und 15 in Deutschland. Dann aber geschah der Giftanschlag auf Kremlkritiker Alexej Nawalny, und in der Folge wurde auch hierzulande die Kontroverse um Nord Stream 2 immer schärfer. Die Politik sah sich mit einem Dilemma konfrontiert, einerseits europäische Werte verteidigen zu wollen, andererseits ökonomische Interessen nicht zu ignorieren und mit Russland diplomatisch im Gespräch zu bleiben. Ein Balanceakt, der in Landesregierungen zu Streit geführt hat und in einigen Parteien für Unfrieden sorgt.

Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) setzte sich in dieser Woche erneut für den Weiterbau der Pipeline ein. An ihrer grundsätzlichen Einstellung hätte auch die Verhaftung des russischen Oppositionspolitikers Alexej Nawalny nichts geändert, sagte sie in Berlin. Den USA bot sie Gespräche über die Zukunft von Nord Stream 2 an. Dabei müsse dann aber alles auf den Tisch kommen, auch die Handelsbeziehungen der USA mit Russland im Gasbereich, so Merkel.

Politikwissenschaftler Umland sieht die Kanzlerin in einer schwierigen Position. Weil bereits viel Geld in das Projekt geflossen ist, würde ein Ausstieg teuer werden und einem Gesichtsverlust gleichkommen. Zudem stehe sie unter dem Druck des mächtigen Ost-Ausschusses der Deutschen Wirtschaft. Es heißt, dass Nord Stream 2 für Merkel nie vorrangig war. Vielsagend fügte sie bei ihrem Statement am Donnerstag hinzu, sie sei jedenfalls "noch nicht" so weit, dass sie das Projekt aufgebe.

Röttgen: Nord Stream 2 ist schädlich und unnötig

Andere Vertreter ihrer Partei haben sich bereits offen für einen Baustopp ausgesprochen, allen voran Norbert Röttgen, Vorsitzender des Auswärtigen Ausschusses des Bundestages und vor Kurzem Kandidat für den CDU-Parteivorsitz. Röttgen hatte einen Abbruch des Projekts als ein geeignetes Sanktionsmittel gegen Präsident Putin nach dem Giftanschlag auf Kremlkritiker Nawalny bezeichnet. Die Gasleitung diene einzig dazu, die Ukraine weiter zu destabilisieren und den russischen Machtanspruch weiter nach Westen und Europa auszudehnen, sagte er. Sie sei daher "schädlich", "unnötig" und ein "machtpolitisches Projekt".

Für Röttgens Parteikollege Michael Kretschmer, Ministerpräsident in Sachsen, ist die Fertigstellung der Pipeline hingegen alternativlos. "Sie ist für uns wirtschaftlich notwendig", sagte er im September bei einem Treffen mit den Amtskollegen der Ost-Länder. In dieser Frage herrscht im Kreis der Regierungschefs aus Sachsen-Anhalt, Thüringen, Berlin, Brandenburg, Mecklenburg-Vorpommern und Sachsen Einigkeit. Durch einen Stopp der fast fertiggestellten Pipeline fürchten sie den Verlust von Arbeitsplätzen und Investitionen. Immer wieder betonen sie zugleich, wie wichtig das Projekt für die Verbesserung der Beziehungen mit Russland ist.

Dem widerspricht Politikwissenschaftler Umland: "Ich halte dieses Interdependenzdenken, das Projekt fördere die Einbindung Russlands und sei deshalb gut für den Frieden, für falsch. Vielleicht würden dadurch Barrieren zwischen Deutschland und Russland abgebaut. Dieses Denken übersieht aber, dass damit auch die gegenseitige wirtschaftliche Abhängigkeit zwischen Russland und der Ukraine sinkt, und dem Kreml gegenüber der Ukraine im Ergebnis vollends freie Hand gegeben wird. Die deutschen Beziehungen zur Ukraine würden leiden, zwischen Kiew und Moskau droht eine Eskalation. Letztlich wäre das auch eine neue Belastung für die deutsch-russischen Beziehungen. Die Kollateralschäden wären meines Erachtens am Ende deutlich größer als der Nutzen des Projekts."

"Umweltstiftung" soll Pipeline retten

Für Kopfschütteln sorgte zu Beginn des Jahres Mecklenburg-Vorpommerns Ministerpräsidentin Manuela Schwesig (SPD), eine vehemente Befürworterin von Nord Stream 2. Mit den Stimmen der rot-schwarzen Regierungskoalition verabschiedete der Landtag in Schwerin ihr Vorhaben einer gemeinwohlorientierten Umweltstiftung, mit der der Bau der Pipeline an den US-Sanktionen vorbei fortgeführt werden soll. Schwesig hatte zur Begründung gesagt, neben dem Ausbau der erneuerbaren Energien benötige Deutschland auch Gas als Übergangstechnologie. Nord Stream 2 sei deshalb wichtig für das Gelingen der Energiewende und damit auch im Interesse des Klimaschutzes. Gazprom hat zugesichert, die Stiftung mit 20 Millionen Euro zu unterstützen.

Die Grünen, die an fünf von sechs Regierungen im Osten beteiligt sind und Nord Stream 2 von Beginn an ablehnten, zeigten sich empört. "Dass mit russischen Geldern eine Stiftung unter dem Deckmantel des Klimaschutzes finanziert wird, die einzig und allein zur Fertigstellung der Pipeline dient, ist einfach ungeheuerlich. Nicht nur klimapolitisch, sondern vor allem geostrategisch", sagte Grünen-Chefin Annalena Baerbock. Es sei schon schlimm genug, dass die Bundesregierung seit Jahren die Kritik zahlreicher europäischer Nachbarn und des EU-Parlaments ignoriere. Aber dass Mecklenburg-Vorpommerns Ministerpräsidentin nun eine öffentlich-rechtliche Stiftung gründe, um ein strategisches Projekt des Kremls abzusichern, sei "absolut inakzeptabel", so Baerbock.

EU-Parlament fordert Baustopp

Am Donnerstag stellte sich auch das Europaparlament hinter die Forderung nach einem Stopp von Nord Stream 2. Die EU müsse die Fertigstellung der Pipeline "umgehend verhindern", hieß es in einer Entschließung, die von der Mehrheit im Plenum getragen wurde. Aus Deutschland schlossen sich Grüne und FDP dem Antrag an. Die Abgeordneten der SPD wie auch der Linken und der AfD stimmten nahezu geschlossen dagegen. Die Delegation von CDU und CSU votierte gespalten.

Derweil ruhen die Arbeiten an der Pipeline. Als eine ihrer letzten Amtshandlungen vor der Übergabe an Joe Biden hatte die Trump-Regierung am Dienstag erstmals ein Unternehmen für die Beteiligung an Nord Stream 2 mit Sanktionen belegt. Betroffen ist die russische Firma KVT-RUS, ihr Verlegeschiff "Fortuna" wurde zu "blockiertem Eigentum" erklärt.

Welche Konsequenzen die Einstufung hat, solange die "Fortuna" nicht in US-Hoheitsgewässern ist, ist unklar. Das Schiff war am vergangenen Donnerstag in Wismar ausgelaufen. Es soll beim Bau der Pipeline die Lücke füllen, die der Abzug eines Schweizer Spezialschiffs nach der US-Sanktionsdrohung gerissen hatte. Eigentlich sollten die Arbeiten in dänischen Gewässern südlich der Insel Bornholm vor über einer Woche fortgesetzt werden. Nachdem die "Fortuna" zuletzt tagelang vor Rostock lag, soll sie am Sonntag nach Nord-Stream-Angaben ihren Einsatz dann doch begonnen haben.

Verwendete Quellen
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