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Halbzeit der Großen Koalition: So haben sich Merkel & Co. bisher geschlagen


Halbzeit der Regierung
Ein Minister ist nur mit Glück noch im Amt

MeinungVon Jonas Schaible

Aktualisiert am 24.10.2019Lesedauer: 7 Min.
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Treffen des Bundeskabinetts im Kanzleramt: In der großen Koalition ist es Zeit für eine Halbzeitbilanz. Die Leistungen der Minister unterscheiden sich drastisch. Einer kann froh sein, überhaupt noch im Amt zu sein.Vergrößern des Bildes
Treffen des Bundeskabinetts im Kanzleramt: In der großen Koalition ist es Zeit für eine Halbzeitbilanz. Die Leistungen der Minister unterscheiden sich drastisch. Einer kann froh sein, überhaupt noch im Amt zu sein. (Quelle: imago-images-bilder)

Bald zieht die Regierung ihre Halbzeitbilanz. Welche Minister haben überzeugt und welche enttäuscht? Vor allem zwei fallen positiv auf.

Die Bundesregierung wollte in dieser Woche eigentlich ihre Halbzeitbilanz vorlegen, hat das aber in den November verschoben. Wie sich die Koalition als Ganze geschlagen hat, hängt sehr vom Bewertungsmaßstab ab. Insgesamt lässt sich die Arbeit beschreiben als fleißig, vor allem in der Sozialpolitik aktiv, aber am Ende der Wirklichkeit nicht gewachsen.

Doch wie schlagen sich die einzelnen Ministerinnen und Minister? Wer überrascht, wer überzeugt? (Sie können Ihre Meinung hier abgeben)

Zwei Minister fallen positiv auf, einer hat besonders Erwartungen enttäuscht und einer kann froh sein, noch im Amt zu sein.

Kanzlerin Angela Merkel (CDU) und Kanzleramtschef Helge Braun (CDU)

In der ersten Phase ihrer letzten Amtszeit mühte sich Angela Merkel sichtlich, der Welt mehr Zusammenarbeit zu verordnen und auch die Auseinandersetzung mit Horst Seehofer gewann sie noch. Dann gab sie den Parteivorsitz ab. Danach setzte sie noch Ursula von der Leyen als EU-Kommissionspräsidentin durch.

Doch mit dem Einbruch der Wirklichkeit in die Klimaschutzpolitik wirkt sie überfordert, ihre Präsentation des Klimaschutzpakets hatte etwas von einer Kapitulationserklärung. Klar müsste mehr passieren, das bestreitet sie nicht, aber wenn die CSU nicht will, dann geht es nicht. An Markus Söder ist kein Vorbeikommen mehr.

Die Zeit der Digitalisierung, für die ihr bestens organisierter und stets freundlicher Kanzleramtschef Helge Braun zuständig ist, bricht nur langsam an.

Noch immer ist der Respekt für sie auch unter politischen Gegnern riesig. Die Zeit der Führung scheint aber vorbei.

Auswärtiges Amt, Heiko Maas (SPD)

Heiko Maas schafft es, als Außenminister nicht zu glänzen. Er ist freilich in eine undankbare Lage geraten: Die USA, die hundert Jahre die Weltpolitik bestimmten, ziehen sich nicht nur aus vielen Gegenden zurück, der Präsident umgibt sich lieber mit Diktatoren als mit Demokraten und handelt vollkommen unkalkulierbar (nur das ist kalkulierbar). Die EU ist durch den Brexit einigermaßen beschäftigt, in der Ukraine hat er mit dem Minsk-Prozess ein deutsches Vorzeigeprojekt geerbt, das aber nicht wirklich funktioniert, und Außenpolitik wird sowieso maßgeblich im Kanzleramt gemacht.

Wirklich politische Spuren (oder wenigstens Eindruck) hat er bisher nicht hinterlassen.

Wirtschaftsministerium, Peter Altmaier (CDU)

Fast egal, mit wem man im politischen Berlin spricht, man hört einfach kein lobendes Wort über Peter Altmaiers Arbeit als Wirtschaftsminister. Am Anfang wirkte das wie eine Kampagne des Unions-Wirtschaftsflügels gegen einen Merkelianer, aber dafür werden zu oft Bedauern und eine grundsätzliche Sympathiebekundung mitgeliefert.

Altmaier hat nach Veröffentlichung seiner Industriestrategie Prügel bezogen, weil er angeblich den Mittelstand vernachlässige, und dann prompt eine Mittelstandsstrategie vorgelegt. Das wirkt wie: Strategie auf Zuruf. Er kann Kompromisse für den Energienetzausbau vorweisen, aber zu schlecht ausgebaute Energienetze. Die Kohlekommission immerhin hat er zu verantworten, deren Ergebnis zwar viele für viel zu teuer, aber die meisten, auch Umweltverbände, dann doch gar nicht so verkehrt finden.

Hat Erwartungen enttäuscht.

Umweltministerium, Svenja Schulze (SPD)

Schulze hat recht, wenn sie immer wieder betont, dass sie von Unionspolitikern noch für verrückt erklärt wurde, als sie ein Klimaschutzgesetz mit klaren Zielen für die einzelnen Ministerien forderte, und dass im Herbst 2019 die Regierung doch viel mehr für den Klimaschutz tat, als noch im Herbst 2018 denkbar schien.

Die Union blockierte. Die "Fridays for Future"-Proteste, starke Umfrage- und Wahlergebnisse für die Grünen und ein Dürresommer kamen Schulze zur Hilfe. Zugleich tut die Regierung viel weniger, als mit Blick auf noch verfügbare CO2-Budgets und das Pariser Klimaziel getan werden müsste. Und dazwischen steht Schulze und versucht, ein Paket zu verkaufen, das dank ihr nur ein kleines bisschen weniger weit an der Wirklichkeit vorbeigeht.

Sie ist die tragische Figur dieses Kabinetts: sehr erfolgreich und zugleich an ihren Kollegen gescheitert.

Verkehrsministerium, Andreas Scheuer (CSU)

In den ersten Bewertungen nach 100 Tagen fiel Scheuer noch positiv auf. Er interessiert sich für Verkehr, vor allem Autoverkehr. Und er schien die Autokonzerne wegen Betrügereien anzugehen.

Später aber hat er dubiose Lungenärzte als vermeintliche Stickoxid-Experten erklärt, um Grenzwertverletzungen wegzuleugnen. Er hat seine eigene Verkehrskommission ausgebremst, wurde dann durch das Klimakabinett umgangen und hat doch mit dazu beigetragen, wirksamen Klimaschutz zu verhindern. Dazu kommen immer neue Enthüllungen über den Umgang mit der Pkw-Maut. Jetzt wird sich ein Untersuchungsausschuss damit befassen. Die Gesamtbilanz ist verheerend.

Er kann froh sein, dass er noch Minister ist, aber in einer ehrlichen Minute vermutlich auch nicht erklären, warum.

Gesundheitsministerium, Jens Spahn (CDU)

Bundesminister für Gesundheit, Jens Spahn, liefert und liefert und liefert. Keiner ist so umtriebig wie er. Impfpflicht bei Masern, Reform der Organspende, Terminvergabe in Praxen, und viel mehr. "Er schafft was weg", sagte die Kanzlerin über ihn, ein bisschen schmunzelnd. Das ist so etwas wie ein geflügeltes Wort geworden. Er verkauft seine Politik auch erfolgreich, hält sich aber mit Polemik und Rabulistik zurück und bekommt entsprechend viel Anerkennung.

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Die Wirkung seiner Reformen wird erst in Zukunft ernsthaft einzuschätzen sein. Bisher ist der Eindruck aber sehr positiv.

Wissenschaftsministerium, Anja Karliczek (CDU)

Bundesministerin für Bildung und Forschung, Anja Karliczek, schaffte eine Bafög-Reform, hat den Digitalpakt Schule mit Mühe zum Kompromiss und eine Agentur auf den Weg gebracht, die sogenannte Sprunginnovationen fördern soll, also echte Neuerungen, nicht einfach nur Weiterentwicklungen von bestehender Technologie. Seit einer Weile arbeitet sie daran, ihre Politik besser und transparenter zu erklären.

Und sie hat auch eine Forschungseinrichtung für Batteriezellentechnik nach Münster vergeben, mit einem Volumen von 500 Millionen Euro, wovon auch ihre Heimatstadt Ibbenbüren profitiert. Obwohl es andere, mindestens ebenso geeignete Standorte gegeben hätte. Im Detail wird womöglich nicht zu klären sein, ob sie die Entscheidung traf, weil sie den Standort wirklich für den besten hielt, oder auch, weil sie ihrer Heimat hilft.

Aber es sieht so unanständig aus, dass Karliczeks Bilanz nicht zu retten ist.

Verteidigungsministerium, Ursula von der Leyen (CDU)/ Annegret Kramp-Karrenbauer (CDU)

Verteidigungsministerin Annegret Kramp-Karrenbauer löste Ursula von der Leyen ab, die etwas unvermittelt EU-Kommissionspräsidentin wurde. Erbte eine Berateraffäre und marodes Material. Setzte öffentliche Gelöbnisse und kostenlose Bahnfahrten für Soldaten durch – beides vor allem Symbole. Forderte viel mehr Geld für die Armee und zweimal Bereitschaft zu Auslandseinsätzen, steht aber für schlechte interne Kommunikation in der Kritik. Dafür soll sie in der Armee recht angesehen sein.

Eine ehrliche Bewertung Kramp-Karrenbauers Amtszeit ist nach drei Monaten noch nicht möglich.

Ministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit, Gerd Müller (CSU)

Minister für Entwicklungszusammenarbeit, Gerd Müller, ist auch immer noch Minister. Ist viel unterwegs, wirbt für bessere Beziehungen zu Afrika, sagt Geld zu, um den Regenwald zu schützen, wirkt ehrlich bemüht, hat es nicht leicht, weder in seiner Partei noch in der Öffentlichkeit.

Er richtet unverändert keinen Schaden an und macht seine Arbeit. Viel mehr kann man über ihn nicht sagen.

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Sozialministerium, Hubertus Heil (SPD)

Arbeits- und Sozialminister Hubertus Heil ist einer der erfolgreicheren Minister, der zuletzt nur deshalb ein bisschen weniger sichtbar war, weil er schon so viele Projekte durchgesetzt hat und weil er sich nicht um den SPD-Vorsitz bewerben wollte – Letzteres verrät etwas über seine beschränkt begeisternde Außenwirkung, aber auch über seine Fähigkeit zur Selbsteinschätzung. Heil liefert: ein Rückkehrrecht von Teilzeit in Vollzeit für viele, Geld für Fortbildungen, Rentenreformen, ein Mindestlohn für Azubis, besserer Schutz für Paketboten und viel mehr. Man könnte ihm vorwerfen, dass er sich in seinen Grundrentenvorschlag verbissen hat, oder anrechnen, dass er nicht locker lässt.

Alles in allem steht bei ihm eine tadellose Bilanz. Wahrscheinlich die beste aller Minister. Damit war zu Beginn auch nicht unbedingt gerechnet worden.

Familienministerium, Franziska Giffey (SPD)

Ministerin für Frauen, Familie, Senioren und Jugend, Franziska Giffey, erfindet die eingängigsten Namen für Gesetze, wie "Gute-Kita-Gesetz" und "Starke-Familien-Gesetz". Fällt nicht durch extremes Engagement für Frauen auf, weniger als manche Vorgängerin. Hat aber Geld für die Ausstattung der Kitas und die Ausbildung von Erzieherinnen und Erziehern verteilt. Steht im Verdacht, in ihrer Doktorarbeit plagiiert zu haben, ist deshalb politisch gefährdet. Kontrovers ist die Neuorganisation der Förderung für Demokratieprojekte, die die Finanzierung auch von Projekten gefährdet, die sich gegen Rechtsextremismus einsetzen.

Alles in allem muss Giffey ihre Arbeit als Ministerin aber nicht verstecken.

Finanzministerium, Olaf Scholz (SPD)

Scholz gibt entschlossen den eisernen Haushälter, um die Menschen davon zu überzeugen, dass die SPD solide ist. Andere fragen, wieso die SPD das Finanzministerium wollte, wenn die CDU dieselbe Politik gemacht hätte. Hält daran fest, keine neuen Schulden zu machen, obwohl selbst wirtschaftsliberale Ökonomen davon langsam abrücken. Muss mit weniger stark wachsenden Einnahmen auskommen. Hat die Abschaffung des Soli für sehr sehr viele, aber nicht alle durchgesetzt.

Als Vizekanzler in einer Partei aktuell ohne reguläre Vorsitzende und mit einem eher zurückhaltenden Fraktionschef ist er so etwas wie der faktische SPD-Chef – muss zugleich aber fürchten, dass er in der Wahl zum Vorsitz im Dezember unterliegen könnte. Er verteidigt als Vizekanzler die Regierung, auch das Klimapaket.

Er zählt zu den beliebteren Politikern im Land und gibt etwas darauf. Macht seine Arbeit hochprofessionell, aber auch weitgehend unberührt von der Außenwelt.

Innenministerium, Horst Seehofer (CSU)

Minister für Inneres, Bauen und Heimat, Horst Seehofer, brachte im Streit für eine weitgehend wirkungslose Abschiebeklausel fast Koalition und Union ans Ende. Verlor dann den Parteivorsitz. Seitdem ist er zur Ruhe gekommen. Er fällt jedenfalls nicht mehr als Scharfmacher auf, redet manchen in der Union plötzlich sogar zu freundlich über Flüchtlinge und Migranten. Das mehrere Milliarden Euro teure Baukindergeld hat er durchgesetzt. Es sorgt allerdings kaum für Wohnungen. Die Bekämpfung des zunehmend offenen rechtsextremen Terrorismus fällt in seine Verantwortung. Die Bauabteilung ist immer noch nicht voll aufgebaut.

Die geplante Beförderung Hans-Georg Maaßens zum Staatssekretär und der politische Flurschaden, den sie angerichtet hat, wird bleiben, der Streit zu Beginn auch.

Als "Gefährder", wie ihn "Der Spiegel" noch vor einem Jahr nannte, wird ihn heute keiner mehr bezeichnen. Aber das ist dann doch ein sehr geringer Anspruch an einen Innenminister.

Justizministerium, Christine Lambrecht (SPD)

Ministerin für Justiz, Christine Lambrecht, löste Katarina Barley (SPD) ab, die ins EU-Parlament wechselte. Sie baute direkt die Spitze des Ministeriums um. Ist erst wenige Monate im Amt, schlägt jetzt vor, das Waffenrecht zu verschärfen und Beleidigung von Kommunalpolitikern schärfer zu bestrafen.

Wenn sie jemand auf der Straße erkennt, darf sie zufrieden sein. Wirklich bewerten lässt sich ihre Arbeit noch nicht.

Landwirtschaftsministerium, Julia Klöckner (CDU)

Landwirtschaftsministerin, Julia Klöckner, hat ein Tierwohllabel auf den Weg gebracht, das aber nicht wirklich Tierwohl garantiert. Betäubungslose Kastration von Ferkeln lässt sie noch eine Weile länger zu. Das Verbot des Kükenschredderns kommt erst einmal nicht, vielleicht in Zukunft – das Ministerium nannte das in der eigenen Jahresbilanz beschönigend "Einstieg in den Ausstieg". Klöckner ist Teil der Unionsfront gegen Klimaschutz.


Sie setzt weiter vor allem auf freiwillige Selbstregulierung. Dass trotz dieser sanften Regulierungsvorschläge kürzlich Bauern auf die Straße gingen, sagt freilich etwas über die extrem gegensätzlichen Erwartungen an eine Landwirtschaftsministerin.

Dafür, dass ihr Ministerium ein Schlüsselressort im Kampf gegen den Klimawandel ist, kommt sehr wenig.

Wie beurteilen Sie die Arbeit der Ministerinnen und Minister und der Kanzlerin? Geben Sie hier Ihre Bewertung ab.

Verwendete Quellen
  • Eigene Recherchen
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