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Nach Frankreichwahl: Diesen Fehler sollte die Bundesregierung nicht wiederholen


Notwendige Reformen
Diesen Fehler sollte die Bundesregierung nicht wiederholen

MeinungEin Gastbeitrag von Marcel Fratzscher

Aktualisiert am 27.04.2022Lesedauer: 4 Min.
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Ein Sozialdemokrat im Elysée. Olaf Scholz beim Besuch in Frankreich (Archivbild).Vergrößern des Bildes
Ein Sozialdemokrat im Elysée. Olaf Scholz beim Besuch in Frankreich (Archivbild). (Quelle: Julien Mattia/Le Pictorium/imago-images-bilder)

Trotz des Wahlsiegs von Emmanuel Macron darf sich Europa nicht ausruhen. Die Wahlen müssen ein Weckruf sein. Ein Appell für mehr Zusammenarbeit zwischen Deutschland und Frankreich.

"Ein guter Tag für Europa" war der Tenor nach dem Wahlsieg Emmanuel Macrons in Frankreich am vergangenen Sonntag. Aber kann man wirklich von einem "guten Tag für Europa" sprechen, wenn fast 42 Prozent der Wählerinnen und Wähler ihre Stimme Marine Le Pen gegeben haben und sich damit für Rassismus und Ausgrenzung und gegen Europa und Integration ausgesprochen haben?

Zudem gibt die Mehrheit der Wählerinnen und Wähler an, sie hätten Macron nicht wegen seiner Politik oder Positionen gewählt, sondern um eine rechtsradikale Präsidentin zu verhindern. Macron wird also von der Mehrheit der Französinnen und Franzosen nicht als guter Präsident, sondern als das geringere Übel angesehen.

Die Wahlen in Frankreich sollten daher auch in Deutschland als Weckruf wahrgenommen werden. Und als Aufforderung, dass die westlichen Demokratien sich grundlegend wandeln müssen.

Große Unzufriedenheit über Polarisierung

Denn ein zentraler Grund für die Unzufriedenheit vieler Wählerinnen und Wähler nicht nur in Frankreich, sondern auch in anderen europäischen Staaten, ist die große Unzufriedenheit über die zunehmende soziale Polarisierung, die durch die Corona-Pandemie und den Krieg in der Ukraine nochmals deutlich verschärft wird.

Vor allem muss Deutschland nun endlich die seit fünf Jahren ausgestreckte Hand Macrons ergreifen, um die Europäische Union grundlegend zu reformieren. Spätestens mit dem Krieg Russlands gegen die Ukraine müssen wir in Deutschland verstehen, dass unsere Zukunft nur durch eine deutlich stärkere Integration Europas und als Teil einer gemeinsamen europäischen Zukunft sicher sein kann.

Marcel Fratzscher leitet seit 2013 das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung (DIW) in Berlin und gilt als einer der einflussreichsten deutschen Volkswirte. Zuvor war er mehr als zehn Jahre für die Europäische Zentralbank (EZB) tätig. Als Makroökonom beschäftigt sich Fratzscher vor allem mit Verteilungsfragen.

Es ist ein gefährlicher Irrglaube, rechtsextreme Politikerinnen und Politiker und faschistisches Gedankengut seien im Westen auf dem Rückzug. Nicht nur in Frankreich ist die politische Mitte kleiner und rechtsextreme Politik stärker geworden – wir sehen dies auch in vielen anderen westlichen Ländern.

Viktor Orbán ist in Ungarn mit einer erstaunlichen Mehrheit wiedergewählt worden und in den USA scheint eine Rückkehr Donald Trumps als Präsident immer realistischer.

Lebenshaltungskosten werden weiter steigen

Politik und Gesellschaft müssen daher eine ehrliche Bestandsaufnahme wagen und verstehen, wo die zunehmende Ablehnung moderater und demokratischer Kräfte auch im Westen ihren Ursprung hat. Auch in Frankreich haben die Wahlen verdeutlicht, dass die soziale Polarisierung, die gefühlte Hoffnungslosigkeit und Frustration mit der wirtschaftlichen und politischen Lage immer mehr Menschen in die Arme von Populisten treiben.

Die Gelbwesten-Bewegung in Frankreich hatte ihren Ursprung im Anstieg der Spritpreise, einem vermeintlich wenig bedeutenden Ereignis, das aber zeigt, wie stark immer mehr Menschen durch höhere Lebenshaltungskosten getroffen werden. Dies wird sich angesichts der hohen Preissteigerungen bei Energie und Lebensmitteln in den nächsten beiden Jahren nochmals verschärfen.

Die Erwartungen an Bundeskanzler Scholz und die Bundesregierung ist, dass sie nicht wie ihre Vorgänger 2017 Emmanuel Macron und Frankreich die kalte Schulter zeigen. Sondern dass die Bundesregierung zusammen mit Frankreich wichtige Reformen in Europa voranbringt.

Eine erschwingliche Grundversorgung ist nötig

Dazu gehört vor allem, die zunehmende soziale Polarisierung innerhalb Europas zu adressieren. Dafür muss ein sozialeres Europa in den Mittelpunkt der Agenda der EU rücken. Dies erfordert gemeinsame Standards in den Sozialsystemen, welche sicherstellen, dass überall in Europa die verletzlichsten Mitglieder der Gesellschaft einen ausreichenden Schutz und eine wirkliche Chance auf soziale Teilhabe haben.

Die Jugendarbeitslosigkeit ist in vielen Teilen Europas schon viel zu lange viel zu hoch, Wohnkosten und Lebenshaltungskosten steigen für viele Menschen deutlich stärker als die Löhne oder soziale Leistungen.

Wirtschaft und Staat fordern von den Menschen mehr Anpassungsfähigkeit und Flexibilität, geben ihnen aber nicht die Möglichkeit, sich diesen Herausforderungen zu stellen. Dafür wären ein besseres Bildungssystem, eine leistungsfähige Infrastruktur zum Beispiel für Familien und eine erschwingliche Grundversorgung nötig.

Europa braucht eine gemeinsame Armee

Zum Zweiten verdeutlicht der Krieg gegen die Ukraine, wie dringend Europa eine gemeinsame Sicherheitspolitik und allen voran eine gemeinsame Armee benötigt. Deutschland gibt nicht viel weniger für Verteidigung aus als Russland, hat aber eine dysfunktionale und kaum einsatzfähige Bundeswehr.

Eine gemeinsame Armee mit einer paneuropäischen Beschaffung würde die Sicherheit Europas deutlich stärken, ohne dass sehr viel mehr Geld in Verteidigung fließen müsste.

Die Schaffung eines Sondervermögens von 100 Milliarden Euro für die Bundeswehr ist dann ein Fehler, wenn dieses Geld in einem rein nationalen Kontext mit rein nationaler Beschaffung wohl nicht grundlegend etwas an der mangelnden Verteidigungsfähigkeit Deutschlands ändern würde.

Reform der Wirtschaftspolitik

Eine dritte Priorität für Scholz und Macron sind die Reformen der Wirtschaftspolitik und des Klimaschutzes. Wir sollten in Deutschland mit dem Krieg gegen die Ukraine endlich verstehen, dass wir unsere Abhängigkeit von Russland und China reduzieren müssen und dass die Wettbewerbsfähigkeit der deutschen Wirtschaft von der Frage abhängt, wie gut und attraktiv die Standortbedingungen nicht nur in Deutschland, sondern in Europa sind.

Deutschland wird in den nächsten Jahren gerade in der Energiepolitik auf mehr Unterstützung Frankreichs und Europas angewiesen sein, vor allem wenn ein Embargo gegen russisches Gas und Öl erlassen werden sollte. Und Europa wird nur dann ein attraktiver Standort sein, wenn sich alle europäischen Länder wirtschaftlich erholen und wachsen können.

Deutschland braucht Europa mehr denn je

Dafür braucht es eine Neuauflage oder zumindest deutliche Stärkung des Wiederaufbaufonds und auch grundlegende Reformen der Maastricht-Kriterien und Schuldenregeln. Nur so kann sichergestellt werden, dass einerseits die Nachhaltigkeit der Staatsfinanzen gesichert ist und andererseits wichtige Zukunftsinvestitionen in die soziale, ökologische und digitale Transformation fließen können.

Das ist die Voraussetzung dafür, dass sich Europa gegenüber China und den USA in Zukunft politisch und wirtschaftlich behaupten kann.

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Die Bundesregierung sollte den Fehler von 2017 nach der ersten Wahl Macrons zum französischen Präsidenten nicht wiederholen, sondern der französischen Regierung die Hand reichen und gemeinsam mit ihr wichtige Reformen in Europa voranbringen.

Deutschland braucht Frankreich und Europa heute mehr denn je. Jetzt ist der Zeitpunkt für die Bundesregierung, mutig voranzugehen und die deutsch-französische Partnerschaft wieder zum Motor der Modernisierung Europas zu machen.

Die im Gastbeitrag geäußerten Ansichten geben die Meinungen der Autoren wieder und entsprechen nicht notwendigerweise denen der t-online-Redaktion.

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