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Containerschiff-Stau in China: Sind unsere Weihnachtsgeschenke in Gefahr?


Top-Ökonom Felbermayr
"Was in China passiert, ist dramatisch"


Aktualisiert am 16.07.2021Lesedauer: 7 Min.
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Container am Hafen von Hong Kong (Archivbild): Im südchinesischen Meer stauen sich etliche Schiffe.Vergrößern des Bildes
Container am Hafen von Hong Kong (Archivbild): Im südchinesischen Meer stauen sich etliche Schiffe. (Quelle: Aleksander Solum/reuters)

Bis Weihnachten sind es zwar noch fünf Monate. Doch bereits jetzt warnen die ersten Händler, dass Produkte womöglich zu spät ankommen – oder teurer werden. Auch Top-Ökonom Felbermayr befürchtet drastische Folgen.

Seit Mitte Mai stauen sich im südchinesischen Meer Dutzende Containerschiffe, weil die Behörden den wichtige Frachthafen von Shenzhen wegen eines Corona-Ausbruchs heruntergefahren haben. Viele Frachter müssen deshalb warten – oder werden auf andere Häfen umgeleitet.

Experten warnen nun: Die aktuelle Containerkrise könnten auch die Deutschen spüren. Denn viele Produkte kommen aus Asien, zum Beispiel Laptops, Fernseher, Waschmaschinen, aber auch Kleidung oder Fahrräder. Dabei ist der jetzige Containerstau nur eine kleine Krise im Vergleich mit den Verwerfungen der Lieferketten seit Beginn der Corona-Pandemie.

Gabriel Felbermayr leitet als Präsident das Kieler Institut für Weltwirtschaft (IfW) und weiß, wie schlimm die Auswirkungen der Lieferkrise sind; für die Deutschen, aber auch die wirtschaftliche Erholung nach Corona.

Im Interview mit t-online erklärt er, warum wir uns hierzulande Sorgen um unsere Weihnachtspakete machen müssen und wie die Lieferketten künftig gesichert werden können.

Herr Felbermayr, die Corona-Zahlen steigen wieder, die Delta-Variante ist mittlerweile fast überall dominant. Wie sehr bedroht das den Aufschwung der Weltwirtschaft?

Vermutlich nicht so stark wie die vergangenen Wellen der Pandemie.

Ach nein?

Nein. Die Impfkampagne ist – mit großen Unterschieden – schon sehr weit fortgeschritten. Das heißt, wir können die Grenzen auch bei deutlich höheren Inzidenzen offenhalten, der Warenverkehr kann weiterlaufen. Ich rechne deshalb damit, dass wir im Herbst zwar neuerliche Einschränkungen erleben werden. Ich gehe aber nicht davon aus, dass wir uns wieder durch einen harten Lockdown quälen müssen wie im Winter 2020. Für Gastronomen, Hoteliers und den Einzelhandel wird der Schaden deutlich geringer ausfallen.

Zu schaffen machen dürften jedoch die globalen Lieferketten, die wegen Corona stark durcheinandergeraten sind. Seit kurzem kommt noch die Containerkrise im südchinesischen Meer hinzu. Wie schlimm ist es, dass dort Dutzende Schiffe warten müssen?

Was in China passiert, ist dramatisch. Das sind schmerzhafte Einschnitte für die Weltwirtschaft. Wenn einer der größten Häfen der Welt wegen eines Corona-Ausbruchs herunterfährt, holpert der Warenverkehr auch an anderen Orten. Dennoch sind die Einschränkungen jetzt nur punktuell – nicht gleichzeitig und flächendeckend wie im Frühjahr 2020, als die ganze Welt im Lockdown war. Für die global agierende deutsche Wirtschaft ist die Situation jetzt also nicht im Ansatz so schlimm wie vergangenes Jahr.

Trotzdem klagen viele Spediteure über große Probleme.

Richtig. Wir sehen, dass zehn Prozent der weltweiten Containerkapazitäten irgendwo herumstehen – etwa im Perlflussdelta in China oder vor dem Hafen von Los Angeles. Und wenn Container warten, können sie keine neue Ware aufnehmen. Auch die Dauer des Transportes hat sich verlängert: Vom Verladen der Ware in Südchina bis zum Entladen an der Westküste der USA braucht ein Containerschiff normalerweise 20 Tage. Aktuell sind es knapp 30.

Gabriel Felbermayr, geboren 1976, ist seit 2019 Präsident des Kieler Instituts für Weltwirtschaft (IfW) und gilt als einer wichtigsten deutschen Experten für den Welthandel. Mit seiner Position verbunden ist eine Professur für Volkswirtschaftslehre an der Universität Kiel, zudem ist Felbermayr Teil des Wissenschaftlichen Beirats beim Bundeswirtschaftsministerium. Der gebürtige Österreicher übernimmt ab Oktober dieses Jahres den Vorsitz des Österreichischen Instituts für Wirtschaftsforschung (Wifo).

Auch in Deutschland sind die Auswirkungen zu spüren. Viele Händler gehen davon aus, dass Waren aus Fernost zu spät für das Weihnachtsgeschäft ankommen. Werden wir in Deutschland nicht genügend Geschenke haben?

Ja, das ist zu befürchten. So kurios das jetzt im Sommer klingt: Die Deutschen müssen sich zurecht Sorgen um ihre Weihnachtsgeschenke machen. Denn das Weihnachtsgeschäft bahnt sich wegen der langen Vorlaufzeiten schon jetzt an. Und China ist für den Gabentisch in deutschen Wohnzimmern der wichtigste Lieferant. Wegen der Lieferengpässe dürften im Dezember die Regale in vielen Geschäften leerer sein als sonst. Und nicht nur das: Wenn es in Asien Lieferprobleme gibt, spüren wir das auch im Preis.

Das heißt: Die Geschenke werden deutlich teurer?

Mit Sicherheit. Wenn Güter knapp sind, regelt der Markt das über den Preis. Derjenige mit der höchsten Zahlungsbereitschaft bekommt die Ware. Wir müssen uns darauf einstellen, dass viele Produkte aus Fernost in den kommenden Monaten deutlich teurer werden.

Mit welchen Preissteigerungen rechnen Sie?

Das ist schwer zu beziffern, weil die aktuelle Situation so volatil ist. Aber bei Gütern und Geschenken, die stark nachgefragt werden, Elektronikgeräte wie Fernseher oder Spielkonsolen, werden wir sicherlich einen Preisanstieg von bis zu 20 Prozent sehen.

Auch die Industrie leidet stark unter der Lieferkrise. Es fehlen nicht nur Mikrochips, auch Stahl und Holz werden knapp. Welchen Einfluss hat das auf die wirtschaftliche Erholung der deutschen Wirtschaft?

Die Auswirkungen sind enorm. Um sie zu begreifen, müssen wir die Wertschöpfung betrachten, die es wegen der Lieferengpässe nicht gibt, obwohl sie hätte stattfinden können. Nach unseren Berechnungen gehen 25 Milliarden Euro verloren. Das ist ein knappes Prozent der gesamten deutschen Wirtschaftsleistung. Und in der Industrie ist dieser Anteil noch deutlich höher: Wir erwarten, dass fünf bis sechs Prozent der Industriewertschöpfung wegen der Lieferschwierigkeiten nicht erzielt wird. Doch es gibt auch gute Nachrichten.

Die wären?

Viele Aufträge und Einkäufe, die jetzt in der Pipeline sind, verzögern sich einfach nur. Wenn Sie jetzt ein neues Auto bestellen, kommt es womöglich statt im Oktober 2021 erst im Februar 2022 – aber es kommt, und Sie brauchen es ja weiterhin. Für die deutsche Wirtschaft heißt das: Die Industrieproduktion wird weiter anziehen und ein Treiber des Aufschwungs bleiben, nur eben etwas zeitverzögert.

Die Frage ist nur, zu welchem Preis. Durch die hohe Nachfrage und die Lieferengpässe steigen die Rohstoffkosten momentan stark. Viele Experten sprechen gar von einem neuen Rohstoff-Superzyklus. Wie sehen Sie das?

Da müssen wir differenzieren. Es kommt stark darauf an, auf welche Märkte wir schauen. Bei landwirtschaftlichen Erzeugnissen wie Sojabohnen sehe ich das nicht, da hängen die Preisanstiege vor allem mit Missernten zusammen. Die gibt es immer wieder, das ist nichts Besonderes. Bei anderen Rohstoffen jedoch würde ich auch von einem beginnenden Superzyklus sprechen.

Welche meinen Sie?

Kupfer und Stahl zum Beispiel, aber auch Zement. Also Stoffe, die wir auch für den jetzt beschleunigt erforderlichen Ausbau der erneuerbaren Energieerzeugung brauchen. Hier werden wir in den kommenden Jahrzehnten weitere Preisanstiege sehen. Eine Folge daraus: Die Energiewende wird deutlich teurer als wir bislang dachten.

Wie sehr helfen dabei Ideen mancher Politiker, die Produktion von bestimmten Gütern wieder stärker nach Deutschland zurückzuholen?

Sehr wenig. Wenn die Kosten für Rohstoffe das Problem sind, werden wir dem nicht Herr, wenn wir mehr Waren und Güter in Deutschland produzieren – im Gegenteil: Abschottungsphantasien sind gefährlich, auch wenn es gut ist, dass sich die Firmen bei ihren Zulieferern breiter aufstellen.

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Das müssen Sie erklären.

Verkürzt gesagt: Es ist sinnvoll, dass sich deutsche Unternehmen nicht so stark von einzelnen Lieferanten abhängig machen und nur auf ein Land setzen, aus dem beispielsweise Mikrochips kommen. Das aber sollten sie von sich aus tun. Politische Heimholaktionen über die Steuern wie zuletzt in den USA unter Donald Trump jedoch sind der falsche Weg. Der Staat sollte diese Entwicklung mehr begleiten, jedoch nicht selbst gestalten.

In den USA und vor allem in China gehen die Regierungen anders vor. Beide Länder kämpfen um die Stellung als größte Wirtschaftsmacht der Welt. Ist Deutschland da bereits abgehängt?

Deutschland allein wird mit China nie mehr mithalten können. China wächst dreimal so schnell wie Deutschland, der chinesische Markt ist größer als der EU-Binnenmarkt und bald auch größer als der US-Markt. Das bedeutet: Auch die USA werden von China abgehängt. Das ist auch ganz normal, weil China ein Viertel der Erdbevölkerung stellt, die USA aber nur 5 Prozent.

Das heißt, die deutsche Wirtschaft wird immer unwichtiger – unser Wohlstand kleiner?

Wenn wir es allein versuchen, könnte es langfristig so kommen. Deshalb müssen wir uns noch stärker als bislang mit anderen Ländern zusammentun, um schlagkräftig zu bleiben. Der Westen muss sich koordinieren, also die USA, die EU, das Vereinige Königreich, Kanada, Mexiko, Japan und Korea. Hier brauchen wir eine Art Club. Denn: Es ist sinnlos, sich gegenseitig mit dummen Zöllen zu quälen. Vielmehr sollten wir Handelsbeschränkungen weiter abbauen und uns gegenseitig fördern.

Glauben Sie mit Blick auf die Bundestagswahl, dass die Politik das verstanden hat?

Da bin ich mir nicht sicher. Was ich an allen Wahlprogrammen vermisse, ist schon das konsequente Bekenntnis zu Europa. Wir müssen stärker auf den EU-Binnenmarkt setzen. Durch den Brexit ist der um ein Sechstel kleiner geworden. Eine neue Bundesregierung muss eine neue Dynamik für den Binnenmarkt anstreben.

Wie soll das genau geschehen?

Beispielsweise müssen wir die europäische Forschungsinfrastruktur verbessern, wir brauchen gemeinsam finanzierte europäische Top-Unis. Zudem sollten wir beim Ausbau des europäischen Schienennetzes und anderer Netze stärker zusammenarbeiten. Im Moment werkelt noch jeder vor sich hin. Hier müssen wir von vornehinein europäisch denken. Das Mittel zum Zweck sind nicht Erklärungen und der große Zeigefinger. Der Weg zu mehr Europa ist ein gut funktionierender, attraktiver Binnenmarkt. Den können wir auch am Verhandlungstisch nutzen – etwa mit den Chinesen.

Der EU-Binnenmarkt ist ein Thema, das der nächste Wirtschaftsminister nach der Bundestagswahl anpacken müsste. Was sollte noch oben auf seiner Agenda stehen?

Es sind vor allem zwei weitere Punkte wichtig: Wir brauchen eine massive Entbürokratisierung und eine starke Digitalisierung der Behörden. Die öffentlichen Verwaltungen müssen künftig deutlich effizienter arbeiten. Das Problem wurde bei der Auszahlung der Corona-Wirtschaftshilfen deutlich, als viele Firmen keine Gelder vom Staat bekamen oder Monate darauf warten mussten.

Und der zweite Punkt?

Der Staat hat in der großen Krise seine Rolle gespielt und das war auch gut. Jetzt muss der nächste Wirtschaftsminister aber den Staat wieder zurückfahren. Es braucht wieder mehr Platz für unternehmerisches Handeln und mehr private Investitionen.

Zum Abschluss noch eine persönliche Frage: Sie werden ab Oktober wieder in Ihre Heimat Österreich zurückkehren, dort das Institut für Wirtschaftsforschung leiten. Wie sehr werden Sie die Ostsee-Luft in Kiel vermissen?

Jetzt, da das Wetter so toll ist, wird mir die Ostsee und der frische Wind von Kiel sicher sehr fehlen. Die grauen Herbst- und Wintertage jedoch werde ich wahrscheinlich kaum vermissen.

Herr Felbermayr, vielen Dank für das Gespräch!

Verwendete Quellen
  • Videointerview mit Gabriel Felbermayr
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