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Bundestagswahl 2021: Aus dem Ausland kommt nur grenzenloser Spott


So blickt das Ausland auf die Wahl
Grenzenloser Spott

Von Patrick Diekmann

Aktualisiert am 28.09.2021Lesedauer: 7 Min.
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Wer wird Kanzler oder Kanzlerin?: Washington-Korrespondent Bastian Brauns hat bei US-amerikanischen Bürgern nachgehakt, welchem Spitzenkandidaten sie am meisten zutrauen. (Quelle: t-online)

Der Abschied von Kanzlerin Merkel markiert eine Zeitenwende für Deutschland und die internationale Gemeinschaft. Andere Länder schauen skeptisch auf die Bundestagswahl, die Kandidaten ernten auch Spott.

In Deutschland wird gewählt, doch niemanden interessiert es – zumindest in New York nicht. Bei der UN-Vollversammlung findet die anstehende Bundestagswahl kaum Beachtung, deutsche Gesandte werden nur selten darauf angesprochen. Während das Interesse in der Bundesrepublik an US-Präsidentschaftswahlen hoch ist, wissen viele Amerikaner gar nicht, dass in Deutschland eine Wahl stattfindet. "Ihr habt eine Demokratie?", fragt eine ältere Frau, die vor dem UN-Hauptquartier mit ihren zwei Hunden spazieren geht. "Das ist schön." Sie lacht.

Dabei erwartet Deutschland am Sonntag eine entscheidende Richtungswahl, die nach 16 Jahren mit Angela Merkel (CDU) als Kanzlerin eine Zeitenwende markiert. Auch für die internationale Gemeinschaft ist der Urnengang der Deutschen wichtig, immerhin ist das Land die größte Volkswirtschaft innerhalb der Europäischen Union und spielte eine wichtige Rolle bei der Bewältigung unterschiedlicher Krisen – in Libyen, in der Ukraine oder auch beim Kampf gegen die Corona-Pandemie.

Gleichzeitig gilt auch: Die Wahl in Deutschland ist international von Bedeutung, aber im Ausland wird kein großer Kurswechsel erwartet – egal wer gewinnt. Die Revolution wird ausbleiben, so die Erwartung – und damit auch das Interesse. Das stimmt ebenso für die Kanzlerkandidaten selbst, die für wenig Begeisterung sorgen. Über Grenzen hinweg werden sie vor allem von den Medien im Ausland verspottet.

"Der langweiligste Typ Deutschlands"

Die internationale Presse ist schon vor Monaten dazu übergegangen, polemisch über den Wahlkampf zu berichten. "Nie in der Geschichte der Bundesrepublik hatten die Bürger die Wahl zwischen unattraktiveren Alternativen", schreibt die "Neue Zürcher Zeitung" (NZZ) in der Schweiz.

Vor allem die drei Kanzlerkandidaten Olaf Scholz (SPD), Armin Laschet (CDU) und Annalena Baerbock (Grüne) werden von renommierten Zeitungen verspottet. "Der Mann, den alle am liebsten mögen, ist der langweiligste Typ bei der Wahl – vielleicht sogar im ganzen Land", meint John Kornblum, ehemaliger amerikanischer Botschafter in Deutschland, in der "New York Times" über Olaf Scholz. Im Vergleich zu ihm sei es spannender, einem Topf Wasser beim Kochen zuzuschauen.

Laschet sei ein "Zwergspitz"

Armin Laschet würde dagegen mit seiner Langweiligkeit die Deutschen abstoßen, heißt es in der britischen "Financial Times". Er sei wie Scholz wenig charismatisch und ein "Möchtegernnachfolger von Merkel", der wie ein regionaler Bankchef aussieht, findet der "Daily Express". Und Annalena Baerbock? Die Grünen-Spitzenkandidatin findet in der internationalen Berichterstattung kaum Beachtung. Die "NZZ" bezeichnete sie lediglich als "Schummlerin vom Dienst", nachdem die Plagiatsvorwürfe und die nachgemeldeten Einkünfte bekannt wurden.

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Insgesamt werden die drei Kandidaten vor allem in den TV-Triellen als schlechte Redner wahrgenommen, die bei den Menschen kaum Emotionen wecken. Selbst wenn Laschet attackierte, verfing dies im Ausland nicht: Er habe das "Selbstvertrauen eines Zwergspitzes, der einen Pitbull ankläfft", attestierte ihm das US-Magazin "Foreign Policy".

Wenige Staaten haben einen Favoriten

Beim Blick aus dem Ausland mischt sich Skepsis mit Erwartungen an die künftige Bundesregierung. Eine Übersicht:

USA

Auch wenn die Wahl in Deutschland nicht groß registriert wird, ist Angela Merkel in den Vereinigten Staaten bekannt und beliebt. Immerhin wurde die Kanzlerin regelmäßig in der "Forbes"-Liste als mächtigste Frau der Welt aufgeführt. Dennoch erwartet die Regierung von US-Präsident Joe Biden keine großen Veränderungen durch den Machtwechsel in Deutschland. Die Kanzlerin hatte als Vermittlerin in vielen Krisen einen bedeutenden Anteil an der Stabilität in der EU. Doch selbst falls die Staatengemeinschaft durch ihren Abschied an Geschlossenheit verlieren sollte, ist das nicht unbedingt zum Nachteil der USA – solange interne Streitigkeiten nicht die transatlantischen Beziehungen belasten.

In Washington hat sich Scholz als Finanzminister mit seinem Kampf für die Mindeststeuer Respekt verschafft. Durch sein Regierungsamt liegt er im Ansehen vor seinen Kontrahenten um die Kanzlerschaft.

Für die USA spielt aber vor allem die Positionierung Deutschlands gegenüber China eine wichtige Rolle. Die USA unter Biden sehen im Konflikt mit China die zentrale sicherheitspolitische Herausforderung der Zukunft – ein Kampf unterschiedlicher Systeme um die globale Vorherrschaft. Deshalb schließt die US-Regierung nun Bündnisse gegen Peking, zum Beispiel die indopazifische Allianz zwischen den USA, Großbritannien und Australien.

Laschet wird laut Ansicht von US-Analysten Merkels Kurs fortsetzen, sich mit öffentlicher Kritik an Peking zurückhalten. Scholz hält sich bei dem Thema ebenfalls zurück, doch Baerbock sprach sich oft für einen härteren Kurs gegenüber China aus und forderte eine vermehrt wertegesteuerte Politik. Das wurde in Washington positiv registriert, eine rot-grüne Bundesregierung nicht unbedingt kritisch gesehen.

China

China dagegen fürchtet eine Verschlechterung der deutsch-chinesischen Beziehungen, sollte eine grüne Politikerin wie Baerbock Außenministerin werden. Die Kanzlerkandidatin der Grünen ist laut der staatlichen Wirtschaftsinformationsplattform China Economic Information Network (CEINET) "eine typisch westliche Politikerin", die bei vielen Themen einen "Das-eigene-Land-zuerst-Ansatz" verfolge.

Schon im Vorfeld der Wahl trauerte man in Peking Merkel hinterher, hatte Angst vor einer ungewissen Zukunft der deutsch-chinesischen und der europäisch-chinesischen Beziehungen. Keinem der Kandidaten traut man in China zu, das Erbe von Merkel zu verteidigen.

Russland

Der Kreml hat sich in den vergangenen Wochen mit der Lage in Afghanistan und der Duma-Wahl beschäftigt, die Bundestagswahl ist in Moskau jedoch auch im Blick. Putin wird Merkel als verlässliche Gesprächspartnerin vermissen, egal wie groß der Konflikt zwischen Russland und Deutschland war, sie pflegten stets eine ehrliche Kommunikation. Unter einem möglichen Kanzler Scholz erwartet Moskau die russlandfreundlichste Politik, doch alle drei Kandidaten sind in Moskau negativ mit kritischen Äußerungen zur deutsch-russischen Gaspipeline "Nord Stream 2" aufgefallen.

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Während Scholz mit Erfahrung punktet, erwartet man von Laschet als möglichem Kanzler Dialogbereitschaft. Von Baerbock als Kanzlerin wäre die russische Regierung aber offenbar wenig begeistert. Sie vertritt beim Krieg in der Ostukraine, bei Nord Stream 2, dem Umgang mit der Opposition oder generell bei der Frage der Menschenrechte russlandkritische Ansichten.

Frankreich

Mit dem Abschied von Angela Merkel möchte der französische Präsident Emmanuel Macron in die Fußstapfen der Kanzlerin treten und ihre Führungsrolle in der EU einnehmen. Deswegen setzt Frankreich vor allem auf Kontinuität in der engen deutsch-französischen Partnerschaft. Dabei sieht Paris bei allen drei Kandidaten keine größeren Probleme. Auch deshalb hat Macron eher die eigene Wahl im Jahr 2022 im Blick als die in Deutschland.

Scholz und Laschet waren zuletzt zu Besuch bei Macron – mit dem SPD-Finanzminister arbeitet die französische Regierung bereits eng zusammen. Von ihm und einer möglichen rot-grünen Regierung erhofft sich Frankreich eine Reform der Maastrichter Stabilitätskriterien – Paris wirbt für eine Aufweichung der Schuldenregeln, um mehr Investitionen in Europa zu ermöglichen. Das für Frankreich wichtige Anliegen ist mit der Union an der Spitze in Deutschland nicht umsetzbar. Auf der anderen Seite wäre eine ökonomisch und militärisch unabhängigere EU mit Laschet besser möglich, ebenso wie die Zusammenarbeit bei der Waffenproduktion.

Großbritannien

Die Briten sehen Deutschland nach dem Abschied von Merkel als geschwächt. In den britischen Medien werden Laschet und Scholz als "Nieten" und Baerbock als "Neuling" bezeichnet. Es sei gefährlich, wenn einer oder eine von ihnen an der Spitze der stärksten Wirtschaftsmacht Europas stünde, heißt es im "Daily Telegraph".

Für Großbritannien ist eine belastbare deutsch-britische Beziehung nach dem Brexit besonders wichtig – zu groß sind die eigenen wirtschaftlichen Sorgen und die Notwendigkeit eines funktionierenden Handels mit der EU. London hat dabei keine Kandidatenpräferenz für die Bundestagswahl, gut zusammenarbeiten wird man mit allen – allein aus Eigeninteresse. Eine Schwächung Deutschlands durch Merkels Abschied sieht man dabei in Großbritannien nicht nur negativ: Denn das könnte die Position der britischen Regierung in Europa wieder stärken.

Italien

In Italien hat man vor allem Angst vor einer langen Hängepartie bei der Regierungsbildung nach der Wahl. Denn das würde auch in Europa zu einer Lähmung führen; doch die schwächelnde italienische Wirtschaft profitiert aktuell von den Corona-Hilfen der EU.

Die italienische Regierung möchte auf keinen Fall, dass das deutsche Engagement für Europa zur Debatte steht – und sieht deshalb eine Beteiligung der AfD und der Linken kritisch. Mit Baerbock, Laschet und Scholz könnte Italien allerdings gut leben. Die italienische Regierung erhofft sich, durch eine engere Zusammenarbeit mit Deutschland künftig auch geopolitisch stärker einbezogen zu werden.

Türkei

Für die türkische Regierung wäre eine Beteiligung der Grünen und der Linkspartei eine Katastrophe. Eine Bundesregierung unter Mitwirkung der Grünen wird als kompliziert empfunden – auch durch Erdoğan-Kritiker Cem Özdemir, der immer wieder in der türkischen Berichterstattung auftaucht. Die Linken hingegen gelten in der Türkei als Verbündete der Terrororganisation PKK.

Bei der vergangenen Bundestagswahl hatte Präsident Recep Tayyip Erdogan die Deutsch-Türken dazu aufgerufen, weder die CDU, die SPD noch die Grünen zu wählen: Sie seien Türkei-Feinde. In diesen Wahlkampf mischt sich der türkische Präsident allerdings nicht ein.

Dennoch wird Laschet in der Türkei favorisiert: Man kennt ihn, man kennt die CDU. Der CDU-Kanzlerkandidat wird in der türkischen Gemeinde aufgrund seiner einstigen Tätigkeit als Integrationsminister in NRW auch als "Türken-Laschet" oder "Türken-Vater" bezeichnet. Außerdem geht man davon aus, dass die Union es Flüchtlingen erschweren würde, nach Europa zu kommen. Die Türkei möchte keinesfalls noch mehr Menschen aufnehmen, deshalb kommt das gut an.

Keine Richtungswahl für das Ausland

Für das Ausland ist die Bundestagswahl in Deutschland also keine entscheidende Richtungswahl. In einigen Ländern gibt es zwar Präferenzen für bestimmte Kandidaten, doch eine große Veränderung in der deutschen Außenpolitik wird nirgendwo erwartet.

Da im Ausland die inhaltlichen Unterschiede der Parteien kaum Widerhall finden, schauen die Menschen auf die Spitzenkandidaten um das Kanzleramt. Ähnlich wie in Deutschland wecken Baerbock, Laschet und Scholz auch dort keine großen Emotionen oder Sympathien. Dies führt zu dem großen Desinteresse an dieser Bundestagswahl.

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